Somnium hat geschrieben: ↑17.07.2022, 02:15
@Lällekönig
Was auch immer Putin antreibt, rationale Gründe für die Invadion gibt es nicht. Das dieser Despot noch lebt, beweist wie gut seine Machterhaltungsstrukturen funktionieren.
Genau diese Strukturen sind es aber auch, die für zukünftige Regierungen zur Hypothek werden können. Im Gegensatz zum Dritten Reich wird es keine Kapitulationserklärung geben, auf der man einen neuen Rechtsstaat aufbauen wird können. Das wird ein sehr übles, sehr internes „Blutbad“ werden. Der Kater am Morgen nach Putin wird beispiellos sein.
Es wird eher keine langfristige, „seriöse“ Aufarbeitung der Ereignisse geben. Von daher wird wohl lange Zeit eine geopolitische Instabilität die Weltpolitik lähmen. Und das ist, im Angesicht der Klimakrise, eher sehr suboptimal, diese Perspektive.
Das alles ist zum verzweifeln deprimierend.
Da scheinen wir anderer Ansicht zu sein. Ich sehe sehr wohl rationale Gründe für die Invasion, aber auch Fehleinschätzungen. Wenn ich Putins «Wahnsinn» begründen müsste, schriebe ich diese seiner Unmenschlichkeit (Morallosigkeit) oder seinen Fehleinschätzungen zu, nicht seiner Irrationalität.
Was verstehst du unter seinen Machterhaltungsstrukturen?
Ich verstehe darunter ein System der brutalen und angsteinflössenden Unterdrückung jeglicher Opposition, jeder Gegenstimme die Zweifel am Kurs der Regierung schüren könnte. Ein unmoralisches System der Kleptokratie, in dem sich nicht nur Putin selbst bereichert, sondern extrem viel Reichtum und Macht auch mit ganz wenigen anderen Verbündeten geteilt wird. Diese hängen somit derart tief mit drin, dass es zu ihrem existenziellen Interesse wird, dieses System aufrecht zu erhalten, da ihnen sonst der Prozess gemacht wird. Ich finde man kann
Chodorkowskis Vergleich von Putin mit einem Gangsterboss auch auf die geschaffene Struktur zuschreiben. Eine über Korruption und Mittäterschaft verbundene Seilschaft.
Daher bin ich der Ansicht, dass der Nachfolger Putins – sollte dieser in Folge eines Anschlags von Ausserhalb, Krankheit oder Unfalls sterben – aus den Reihen dieses Systems kommen wird und es somit stabil halten und weiterführen will.
Zu einem «Blutbad» könnte es meiner Meinung nach dann kommen, wenn das System selbst militärisch oder demokratisch angegriffen wird, also Putin zum Beispiel durch einen revolutionären Akt gestürzt, getötet oder abgewählt würde. Das System würde sich wehren, um sich schlagen und an der Macht festhalten wollen. Es würde die Revolution niederschlagen oder die Abwahl nicht anerkennen wollen. Aber selbst dann sehe ich das «Blutbad» nicht als zwingende, aber dennoch als wahrscheinliche Konsequenz. Hängt halt davon ab, wie knapp das Verhältnis ausfällt.
Chodokowski verknüpft zwar auch das Ende der Invasion mit Putins Tod, ich sehe dies aber als den im letzten Abschnitt beschriebenen revolutionären Akt, welcher meiner Meinung nach nicht die einzige Möglichkeit darstellt.