CHRISTIAN GROSS UND SEINE EIGENWILLIGE AUFARBEITUNG DES LILLE-MATCHES

Zwei, drei Fragen zu klären. Christian Gross wird die Arbeit nach der Rückkehr aus dem kalten Lille nicht ausgehen. Foto Markus Stücklin/Keystone
Georg Heitz
Das Aus des FC Basel im Uefa-Cup gegen Lille hatte primär sportliche Gründe. Aber nicht nur.
Es muss eine seltsame Mischung gewesen sein, die Christian Gross zu seinen Äusserungen am Morgen nach dem Ausscheiden des FCBasel aus dem Uefa-Cup veranlasst hatte. Eine Mixtur aus Ärger über seine Spieler und Unmut über die Berichterstattung in den Medien. Wie ein Anwalt postulierte er einen milden Umgang mit seinem Team, das am Abend zuvor arg enttäuscht hatte. «Man darf jetzt nicht alles verteufeln», sagte der Basler Trainer, «wir haben etwas Wunderbares erreicht, indem wir im Uefa-Cup überwintern konnten.» Trotzdem wird sich Gross einige Fragen zur Darbietung seiner Mannschaft und auch zu seinen personellen und taktischen Dispositionen stellen müssen.
> Die Taktik.
Gross hat in dieser Saison verschiedene Systeme ausprobiert, er fordert von seiner Mannschaft diesbezüglich Flexibilität. Allerdings sind die ständigen Systemänderungen für eine Equipe dann heikel, wenn sie nach ihrer Form sucht, wie das der FCB derzeit macht. Spätestens beim Videostudium des Matches in Lille wird Gross zum Schluss kommen, dass ein Christian Gimenez als zurückgezogener Stürmer falsch eingesetzt ist. Der Goalgetter hat seine Stärken im Strafraum, wenn er den Ball mit möglichst wenigen Berührungen im gegnerischen Tor unterbringen kann. «Wir haben dank diesen Umstellungen in Budapest gewonnen», verteidigte er am Freitag seine Anordnungen. Das stimmt, wobei in Ungarn die Leistung auch nur in der zweiten Halbzeit wirklich gut war. Und folgte man dieser Logik, dann müsste der FCB permanent im 4-1-4-1 antreten; schliesslich besiegte er in dieser Formation die Grasshoppers mit 8:1.
> Der Fall Delgado.
Mit der Debatte ums System einher geht die Diskussion um die chronische Nicht-Berücksichtigung von Matias Delgado. Warum bloss schenkt ihm Gross nicht einmal über ein paar Spiele das Vertrauen? Weshalb stellt er an den 22-jährigen Argentinier Anforderungen, die ein Hakan Yakin als bestandener Spieler nie erfüllen musste? Delgado ist technisch einer der besten Spieler im Kader, zudem hat er sich in seiner Basler Zeit defensiv verbessert. «Warum wird Delgado thematisiert? Was hat er denn in internationalen Spielen schon an entscheidenden Szenen gehabt?», fragte Gross gestern ungehalten. Als Antwort zieht der Coach am besten die Statistik Delgados heran. Der wurde von 810 möglichen Minuten im Uefa-Cup (beim Auswärtsmatch gegen Terek Grosny war er verletzt) gerade mal während 307 eingesetzt. Dabei erzielte er das 1:1 gegen Schalke und gab zudem zwei Assists. Das ist eine zumindest solide Bilanz.
> Die Teamhygiene.
Dass es in einer Mannschaft zu Grüppchenbildung kommt, ist nichts Ungewöhnliches. Allerdings haben beim FCB die atmosphärischen Störungen zwischen den argentinischen und einigen Schweizer Spielern in den letzten Monaten zugenommen. Der Vorwurf der Eidgenossen: Die Südamerikaner spielen den Ball ständig nur ihren Landsleuten zu. Tatsache ist: Solidarisch wars nicht gerade, wie der FCB am Donnerstag in Lille auftrat. Ausgerechnet der beste Spieler in dieser Partie fühlt sich von den Teamkollegen zu wenig geschätzt. Goalie Pascal Zuberbühler beklagte sich Anfang Woche intern darüber, dass er in einer Umfrage des «Sonntagsblick» aus dem eigenen Lager nur fünf Stimmen zur Wahl als bester Keeper der Super League erhalten hatte.
> Die Kritik.
Gross neigt dazu, permanent dieselben Spieler zu kritisieren. Nebst Delgado gehört Philipp Degen in diese Kategorie. «Dass sein Wechsel nach Dortmund bereits feststeht, ist nicht spurlos an ihm vorbei gegangen», bemängelt der Trainer. Andere Spieler jedoch, die seit Wochen schwächeln (Scott Chipperfield, Christian Gimenez) bleiben von öffentlicher Kritik verschont. Ebenfalls kein Thema sind für den Trainer die ungenügenden Leistungen von Mile Sterjovski. Einen Rüffel verteilte Gross gestern noch an die Adresse Benjamin Huggels, der in Interviews die Ballverluste der eigenen Stürmer erwähnt hatte. «Jeder muss seine persönliche Leistung analysieren. Kritik an Mannschaftskollegen ist völlig unangebracht.»
> Das Fazit.
Es ist alles andere als ein Skandal, wenn der FCB gegen eine Mannschaft mit den Qualitäten Lilles aus dem Uefa-Cup ausscheidet. Die Art und Weise aber, die Ideen- und Konzeptlosigkeit, muss den Verantwortlichen schon zu denken geben. Die Situation beim Schweizer Meister ist im Moment wenig harmonisch. Gross tut gut daran, gewisse Dinge zu hinterfragen. Dass er dies nicht öffentlich macht, ist sein gutes Recht. Applaus darf er dafür aber nicht erwarten.
BaZ, 26.2.05