Gerüchte um Osama bin Ladens Tod
DER CHEF DER TERRORORGANISATION AL QAIDA SOLL EINER TYPHUSINFEKTION ERLEGEN SEIN.

Terrorchef. Aktuelle Fotos von Osama bin Laden sind rar, dieses Bild wurde im November 2001 aufgenommen - in seiner Lieblingspose mit Kalaschnikow. Foto Keystone
Rudolf Balmer, Paris
Nicht zum ersten Mal heisst es, Osama bin Laden sei tot. Eine Bestätigung für Geheimdienstinformationen, publiziert in einer französischen Regionalzeitung, gibt es bisher nicht.
Laut saudi-arabischen Nachrichtendienstquellen ist der meistgesuchte Terrorist der Welt tot. Über eine undichte Stelle beim französischen Geheimdienst landete diese Information bei der Regionalzeitung «Lu2019Est Républicain», die am Wochenende damit Schlagzeilen machte. In der als Kopie abgebildeten Note erklärt die für den Auslandnachrichtendienst zuständige Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE), der saudi-arabische Geheimdienst habe «die Gewissheit, dass Osama bin Laden tot ist». Er sei am 23. August irgendwo in Pakistan an einer schweren Form von Typhus erkrankt, die zuerst zu einer Lähmung der Beine geführt und schliesslich seinen Tod verursacht habe. «Die durch seine permanente Flucht bedingte geografische Isolierung machte jede ärztliche Hilfe unmöglich.» Der saudi-arabische Geheimdienst warte jetzt noch auf weitere Details, namentlich «auf Hinweise zum genauen Ort seiner Bestattung», bevor er die Nachricht von bin Ladens Tod offiziell verkünde.
«Spekulation». Verifizieren lässt sich zunächst nichts. Es sei denn, Al Qaida würde selber mitteilen, dass ihr Gründer gestorben ist. Entsprechend abwartend und vorsichtig äusserten sich diverse westliche Geheimdienst- und Regierungsstellen. Weder die Sprecher des Weissen Hauses in Washington oder der CIA, noch Vertreter der Regierungen von Pakistan oder Afghanistan sahen sich in der Lage, in diesem Zusammenhang etwas zu bestätigen oder zu dementieren. Auch die saudi-arabischen Behörden, die über den Mangel an Diskretion ihrer französischen Partner ziemlich aufgebracht sein müssen, wollten nicht Stellung nehmen. Alles sei «reine Spekulation», sagte die saudi-arabische Botschaft am Samstag in Washington. Inzwischen erklärte aber auch das US-Magazin «Time», vermutlich gestützt auf dieselben Quellen, es gebe «glaubwürdige Berichte», wonach bin Laden durch verseuchtes Wasser erkrankt und im Sterben liege oder möglicherweise bereits verstorben sei.
Sicher ist bisher nur, dass dieses interne und als vertraulich klassifizierte Papier der DGSE vom 21. September authentisch ist. Es wurde bei der DGSE für ausreichend glaubwürdig eingestuft, dass man es auf dem Dienstweg an Staatspräsident Jacques Chirac, an Premierminister Dominique de Villepin, an Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie und Innenminister Nicolas Sarkozy zur Kenntnisnahme weiterleitete. Dem französischen Präsidenten, der am Samstag in Compiègne an der Pressekonferenz zum Dreiergipfel mit Angela Merkel und Wladimir Putin auf die Titelstory der Zeitung «Lu2019Est Républicain» angesprochen wurde, war die Sache sichtlich peinlich. Er sei «ein wenig überrascht, dass eine vertrauliche DGSE-Note veröffentlicht wurde». Das Verteidigungsministerium, dem die DGSE unterstellt ist, leitete bereits eine Untersuchung ein, um die undichte Stelle ausfindig zu machen. Der Tageszeitung (Auflage rund 480000 Exemplare), die vor allem im ostfranzösischen Lothringen gelesen wird, drohen ebenfalls Sanktionen wegen der vorsätzlichen Verletzung der militärischen Geheimhaltung.
Märtyrer. Es ist freilich nicht das erste Mal, dass seit den Attentaten des 11. September 2001 Gerüchte über bin Ladens Tod zirkulieren. Es ist bekannt, dass der Chef von Al Qaida nierenkrank ist. Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf, der am kommenden Mittwoch in Washington zu einem Besuch erwartet wird, hatte schon im Juni 2002 behauptet, bin Laden sei diesem Nierenleiden erlegen. Ihm käme ein natürlicher Tod des Chefterroristen eher gelegen. Die USA erwarten von ihm - als Gegenleistung für die finanzielle Unterstützung - bei der Jagd auf Al Qaida Resultate. Umgekehrt aber möchte er wegen der antiamerikanischen Stimmung in seinem Land nicht, dass bin Laden durch sein Zutun zum Märtyrer wird.
Ob nun tot oder lebendig: Mit oder ohne bin Laden stelle Al Qaida dieselbe Bedrohung dar, meinte im «Journal du Dimanche» Pascal Boniface, der Direktor des Pariser Instituts für internationale und strategische Beziehungen. «Die Gefahr lässt sich nicht auf einen Mann reduzieren. Al Qaida würde durch den Tod des Gründers keineswegs geschwächt. Ich würde sogar behaupten, dass es überhaupt nichts geändert hätte, wenn bin Laden einen Tag nach dem 11. September 2001 umgekommen wäre.»
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