Lusti hat geschrieben:… Glaube ist die Akzeptanz einer Aussage ohne zugrundeliegende Beweise und Fakten.
Korrekt. Akzeptieren heisst aber nicht Übernehmen.
Lusti hat geschrieben:Die Liebe meiner Eltern zu mir und meiner Liebe für meine Kinder ist ein evolutionäres Beiprodukt zur Brutpflege. Man kann dieses Verhalten problemlos chemisch nachweisen und wenn man möchte auch manipulieren. Natürlich ist es ein schönes Gefühl und genau das soll es auch sein, wenn es angenehm ist wird es auch gemacht. Dieses Phänomen kann man übrigens überall beobachten, sei es die Reaktion von Erwachsenen auf kleine Kinder oder kleine Tiere. Es ist dieser "jöö"-Effekt, welcher tief in unserem Verhalten codiert ist.
Und hast du diesen chemischen Effekt selbst nachgewiesen oder
glaubst du an den Wahrheitsgehalt der Beweisführung der Wissenschaftler?
Lusti hat geschrieben:Auch in der Wissenschaft gibt es keineswegs Glauben. Die Wissenschaft lebt insbesondere von der Abwesenheit von Glauben und dem wichtigten Satz: "Ich weiss es nicht!" Dies ist die Antriebsfeder für die Wissenschaft. Der "Glaube" zu Wissen hat zu Zeus als Erzeuger der Blitze und zu Abrahams Gott geführt, indem Dinge die wir nicht Wissen (naturalistische Phänomene) mit etwas erklärt werden, wovon wir noch viel weniger Wissen (übernatürliches Wesen ausserhalb der naturalistischen Welt).
Richtig, Glaube ist weder dem Wissen noch der Realität gleichzusetzen. Wer das tut, kann bei Zeus, Jehowa und dergleichen landen. Aber bei der Beobachtung des zu Boden fallenden Apfels, entsteht als erstes der Glaube an das Konzept der Gravitation, welche dann zu der Erforschung seiner Gesetzmässigkeit führt. Diese wurden gut erforscht, über die Ursache besteht aber noch immer Ungewissheit. Darf man nun die Aussagen über die Gesetzmässigkeit nicht akzeptieren, ohne sich deren Ursachen gewiss zu sein? Der Antrieb der Wissenschaft ist es, die Möglichkeiten der Annahmen durch Beweisführung aus dem Reich des Glaubens in das Reich des Wissen zu überführen. Das ist auch gut so.
Lusti hat geschrieben:Auch im Bezug auf Hypothesen verhält es sich so. Nehmen wir die theoretische Physik, z.B. Die Stringtheorie. Die Stringtheorie ist eine mathematische Lösung welche nicht gegen geltende Theorie (z.B. Theorie zur Quantenphysik) verstösst. Es ist eine hypotetische mathematische Vereinigung von 3 Urkräften des Universums (exklusiv Gravitation). Keiner "glaubt" an die Stringtheorie, sondern es ist ein theoretisches Kunstrukt welches ein möglicher Erklärungsversuch beinhaltet.
Glaube sollte eben nicht unumstösslich sein, wie es gewisse Glaubensdoktrin einfordern. Da bin ich absolut bei dir. Aber ohne den Glauben, dass diese Theorie möglicherweise wahr sein könnte, fehlte jeglicher Antrieb, daran zu forschen. Die Indizien und die ausbleibenden Widersprüche gegenüber anderen Theorien bestärken den Glauben, dass man etwas auf der Spur sein könnte, dieser Glaube erzeugt die Motivation, den Antrieb. Man sollte aber jederzeit bereit sein, von diesem Glauben abzulassen, sobald die Indizien in eine andere Richtung weisen oder zu vielen anderen, bereits bewiesenen Dingen widersprochen werden muss, um den Glauben aufrecht halten zu können. Denn dann würde ein Irrglaube daraus.
Glauben ist der denkbar schlechteste Ratgeber, wenn es darum geht, Möglichkeiten auszuschliessen. Glaube sollte Möglichkeiten erschliessen und den Zutritt einer Annahme in das Reich des Wissen dem Wissen selbst überlassen. Umgekehrt sollte Wissen nicht Möglichkeiten im Reich des Glaubens ausschliessen, wenn es sich erweitern soll.
Lusti hat geschrieben:Was du in Bezug zur Wissenschaft als "Glaube" definierst ist nicht "Glauben", es ist das Vertrauen in die Methoden der Wissenschaft und der deraus resultierenden Erklärungen. Ich vertraue der Wissenschaft, weil ich weiss wie die wissenschaftliche Methode funktioniert. Ich weiss dass die wissenschaftliche Methode mit Thesen, peer-Reviews, Deduktion, Empirie, Induktion arbeitet. Ich weiss das die wissenschaftliche Methode den Faktor Mensch weitestgehend eliminiert und dadurch die daraus gewonnen Erkentnisse auf einem stabilen, funktionierenden, nachweisbaren und vor allem FALSIFIZIERBAREN Fundament stehen. Das hat mit Glauben null Prozent zu tun.
Ich glaube wir sind mit unserer Einschätzung gar nicht so weit voneinander entfernt, brauchen aber anscheinend den Begriff
Glauben fundamental anders. Ich habe ihn vom Ballast der religiösen Assoziationen befreit und sehe ihn als «Akzeptanz einer Möglichkeit ausserhalb des Wissens». Also vor der erfolgreichen Beweisführung. Das heisst aber nicht, dass diese Möglichkeit als Tatsache betrachtet werden kann, sondern lediglich als Möglichkeit. Was du beschreibst würde ich persönlich als
Irrglauben bezeichnen und genauso verteufeln wie du.

Meine Aussagen stehen auch nirgendwo im Widerspruch zu dem, was du über die Wissenschaft aussagst und ich würde dem grössten Teil auch zustimmen. Vor allem, da Glauben und Vertrauen in ihrer Bedeutung sehr nahe sind. Ich hadere einzig mit der Aussage, dass die Wissenschaft den Faktor Mensch weitestgehend eliminiert hat, aber dies zu erläutern würde massiv mehr Worte in Anspruch nehmen.
Ein interessantes Buch zu diesem Thema ist übrigens «Es werde Licht: Die Einheit von Geist und Materie in der Quantenphysik» von
Prof. Dr. Frido Mann (Enkel von Thomas Mann) und
Dr. Christine Mann (Tochter von Werner Heisenberg). Weil gerade im Bereich der Quantenphysik Potenziale und Möglichkeiten wieder zu einem zentralen Thema der Wissenschaft werden. An den Grenzen des Bekannten, also im Bereich der Forschung, ist das Konzept Glaube=Akzeptanz der Möglichkeiten, weitaus akzeptierter und weniger umstritten, als in der Lehre. Das liegt aber in der Natur der Sache: In der Lehre versucht man zum bekannten Wissen aufzuschliessen, während man sich in der Forschung dem Gewinn neuen Wissens verschrieben hat.
Lusti hat geschrieben:Im wesentlich spricht man hier von einem "Argumentum ad ignorantiam", also ein logischer Fehlschluss der die Nichtwiderlegung einer Theorie als beweis für deren Richtigkeit ansieht. Die Nichterklärung der exakten chemischen Prozesse der Brutpflege führen demzufolge fälschlicherweise zum "Glauben" an die Liebe als abstraktes Konstrukt, indes sie zur Aussage "ich weiss es nicht" führen sollte. Liebe ist ein "Namensschild" das wir einem definierten Gefühl geben.
«Argumentum ad ignorantiam» wäre Irrglaube, weil man aus der Möglichkeit eine Tatsache zu konstruieren versucht. Da bin ich ganz bei dir. Aber solange man die Beweisführung der exakten chemischen Prozesse der Brutpflege nicht zu kennen braucht und die Indizienlage nicht einen Widerspruch zu dieser Annahme nahe legt, spricht doch nichts dagegen, an die elterliche Liebe zu glauben? Oder welcher Schaden erwächst daraus?