«Sie kiffenweniger,aber trinken mehr»
DIE LEITERIN DER DROGENBERATUNGSSTELLE STELLT EINE VERLAGERUNG DES DROGENKONSUMS FEST

Claudine Aeschbach. «Der neue Konsum von Drogen findet mehr im Stillen statt, und die Drogen sind auch besser erhältlich als früher.» Foto Tino Briner
Interview: peter de marchi
Seit dem 1. Juni leitet Claudine Aeschbach die Drogenberatungsstelle Baselland (DBL) mit ihren drei Stützpunkten in Reinach, Liestal und Laufen. Im baz-Interview äussert sie sich kritisch zum kantonalen Hanfgesetz und wirft Basel-Stadt vor, in der Drogenberatung würden zu viele Akteure mitmischen.
baz:Ihr Vorgänger Urs Hafner sah sich und seine Arbeit in der Tradition der offenen Psychiatrie. Welchen Hintergrund prägt Ihre Arbeit auf der DBL?
Claudine Aeschbach: Von den Wertvorstellungen her liege ich sehr nahe bei meinem Vorgänger. Auch ich bin der Auffassung, dass möglichst wenig auf Zwang basieren sollte. In der DBL ist der offene Rahmen ja bereits vorgegeben. Die meisten Leute kommen freiwillig zu uns. Die Suchtproblematik ist zwar der Psychiatrie zugeordnet, die Massstäbe lassen sich aber nicht eins zu eins übertragen. Zwangsmassnahmen im Suchtbereich beispielsweise sind manchmal tatsächlich zum Wohle des Patienten. Die Sucht selber ist ja auch ein Zwang, ein sehr destruktiver Zwang.
Ist es überhaupt möglich, bei Suchtkranken Massnahmen anzuordnen?
Selten. Ich muss oft Behörden oder Angehörigen klarmachen, dass unser Spielraum klein ist. In anderen Ländern oder in Basel-Stadt mit dem wieder eingeführten Fürsorgegesetz ist der Spielraum viel grösser. Im Kanton Baselland wird dem Recht des Patienten mehr Gewicht beigemessen.
Heisst das, dass auf gesetzgeberischer Seite Handlungsbedarf besteht?
Weniger bei illegalen Substanzen als beim Alkohol. Mit Alkohol kann sich jemand über Jahre kaputt machen, ohne dass jemand eingreifen kann.
Verstehe ich das richtig? Sie haben mehr Probleme mit Alkoholkranken als mit Kiffern und Junkies?
Die Tendenz geht in diese Richtung; auch bei Jugendlichen haben wir derzeit mehr Probleme mit dem Alkohol als mit illegalen Substanzen wie etwa Cannabis.
Hat das etwas mit dem neuen restriktiven Hanfgesetz im Kanton Baselland zu tun?
Bei den Jugendlichen ist eine Verlagerung festzustellen, weg von Cannabis hin zum Alkohol. Aus der Präventionsarbeit weiss man, dass bei den Jugendlichen Erhältlichkeit und Preis die wichtigsten Faktoren sind. Wird das Angebot kleiner, nimmt der Konsum ab. Alkohol aber ist immer erhältlich und relativ günstig.
Vereinfacht könnte man also sagen, das Hanfgesetz hat bewirkt, dass die Jungen weniger kiffen, dafür aber mehr saufen?
Ja. Das ist zwar nicht wissenschaftlich belegt, aber der Wind weht in diese Richtung. Vor der Einführung des neuen Hanfgesetzes habe ich öffentlich davor gewarnt, dass es zu einer Suchtverlagerung kommen könnte.
Könnte der Gesetzgeber auf anderer Ebene bessere Rahmenbedingungen für Ihre Arbeit schaffen?
Ich bin mit den Verhältnissen im Kanton Baselland nicht unzufrieden. Wir haben ein sehr gutes System, im Gegensatz zu Basel-Stadt, wo sich die Suchthilfe auf zu viele verschiedene Akteure verteilt. Bei uns ist es so, dass die DBL quasi das Monopol hat. Das Dossier eines jeden illegal Abhängigen geht über meinen Tisch. Das verleiht auf der einen Seite viel Macht, aber es gibt eben auch eine sehr gute Koordination der Behandlung.
Belastet es Ihre Arbeit, dass auf Bundesebene immer noch kein neues Betäubungsmittelgesetz erlassen wurde?
Weniger, als ich erwartet habe. Die Umsetzung der bestehenden Gesetze ist viel wichtiger. Dazu gehört auch die gute Zusammenarbeit mit den Statthalterämtern, die immer Rücksprache nehmen mit uns, bevor sie etwas entscheiden; sie nehmen unser fachliches Wissen sehr ernst.
Würden Sie persönlich eine Legalisierung weicher Drogen befürworten?
Ja. Die Kriminalisierung des Konsums ist nicht zweckmässig. Was aber nicht heissen soll, dass an jeder Ecke Drogen zum Verkauf angeboten werden. Die Drogenabgabe müsste ausschliesslich ärztlich geleitet durch den Staat erfolgen. Es dürfte nicht sein, dass mit dem Verkauf Geld verdient wird. Damit allein würden sehr viele Probleme wegfallen.
Die Legalisierungsgegner haben stets argumentiert, der Stoff werde immer stärker und die Konsumenten immer jünger. Stimmen diese Argumente überhaupt?
Ja. Der Stoff wird immer stärker. Und wir haben grosse Probleme mit psychotischen Jugendlichen. In diesem Ausmass war dieses Phänomen vor 20 Jahren noch nicht bekannt.
Ist die Liberalisierung also doch ein zweischneidiges Schwert?
Die ideale Lösung gibt es kaum. Aber wie gesagt, wenn Cannabis nicht mehr gut zugänglich ist, kommt es zu Verlagerungen. Dafür, dass sich Jugendliche in ihrer Freizeit immer mehr berauschen, gibt es möglicherweise aber noch andere Gründe.
Stichwort Harassenlauf?
Da nehmen nicht nur Jugendliche teil, die sich berauschen. Ich finde den Harassenlauf interessant, weil er eine Provokation der Erwachsenenwelt darstellt. Leider ist im Moment das Thema «öffentliche Berauschung» eines der wenigen, und vom Ansatz her sehr destruktiven, Provokationsfelder. Ich selber war in der 80er Bewegung aktiv. Als Jugendlicher braucht man ein Gefäss, mit dem man sich von den Wertvorstellungen der Erwachsenenwelt absetzen kann.
Drogen sind im gesellschaftlichen Diskurs stark in den Hintergrund gerutscht. Woran liegt das? Wohl kaum daran, dass die Probleme gelöst sind.
Wir können einen Rückgang etwa bei der Beschaffungskriminalität feststellen. Es ist tatsächlich ein Erfolg der Schweizer Drogenpolitik, dass kaum mehr Leute zu fixen beginnen. Mengenmässig aber werden nicht weniger Opiate konsumiert; es wird geraucht, inhaliert. Es gibt den Mischkonsum von Kokain und Heroin. Das ist nicht so spektakulär für die Gesellschaft wie etwa die Platzspitz-Szene. Der neue Konsum von Drogen findet mehr im Stillen statt, und die Drogen sind auch besser erhältlich als früher. Dagegen hat, vor allem in Basel-Stadt, die Verwahrlosung der Abhängigen wieder stark zugenommen.
Wie ist das zu erklären? Das Betreuungsangebot wird doch immer besser.
Der Versorgungsmarkt ist zwar gross, aber nicht gebündelt. Konkret: Jeder Opiatabhängige holt irgendwo sein Methadon, gleichzeitig konsumiert er noch eine Vielzahl anderer Drogen, Kokain, Alkohol. Alles ist kombinierbar und niemand setzt Grenzen.
Ist die Situation in Baselland besser?
In Baselland begleitet eine Bezugsperson ihre Patienten während der ganzen Zeit der Sucht. Wir haben den besseren Überblick über unsere Klienten. Baselland bringt auch, gemessen an der Bevölkerung, viel mehr Leute in eine stationäre Therapie als Basel-Stadt. Dort ist der Therapiegedanke völlig in den Hintergrund getreten.
In der Stadt wird man kontern: Frau Aeschbach hat gut reden mit den wenigen Suchtkranken im Kanton Baselland.
Wir haben nicht viel weniger. In Baselland gibt es rund 500 Methadon-bezüger.
Welche weiteren Ziele wollen Sie kurz-und mittelfristig verfolgen?
Die Umsetzung der Folgeplanung II Psychiatrie BL sieht ein «Kompetenzzentrum Sucht» vor. Ein Ziel wäre neben der Zusammenführung der Behandlung illegaler und legaler Substanzen die räumliche Trennung zwischen niederschwelliger und höherschwelliger Betreuungsarbeit. Mit Schwerpunkten bei der niederschwelligen Arbeit im Angebot der Tagesstruktur und im höherschwelligen Bereich bei der Beratung von Jugendlichen und Eltern sowie einem neuen Behandlungsangebot für Kokain und Partydrogen. Mir schwebt eine Art Blumenmodell vor: In der Mitte das niederschwellige Angebot und ringsum die höherschwelligen Angebote.
Vom Schulzimmer in die Drogenberatung
claudine Aeschbach. Die 1961 in Basel geborene Claudine Aeschbach ist in Riehen aufgewachsen. Von 1980 bis 1982 absolvierte sie das Primarlehrerseminar in Basel und unterrichtete bis 1984 als Lehrerin.1984 begann sie ihr Medizinstudium. 1992 promovierte sie in psychosomatischer Gynäkologie. Die klinische Ausbildung erfolgte unter anderem im Adullam-Geriatriespital in Basel, auf der Psychiatrischen Universitätspoliklinik in Basel und an der Kantonalen Psychiatrischen Klinik in Liestal, wo sie zuerst als Assistentin, später als Oberärztin arbeitete. Zwischenzeitlich war sie auch in den Anfangszeiten der Heroinabgabeprojekte Olten und Solothurn beschäftigt. 2004 wechselte sie zur Drogenberatung Baselland, wo sie als Oberärztin mit einem Pensum von 60 Prozent angestellt ist.