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Der lange Weg zum Fussballkrösus der Schweiz
Im Fussball ist Basel die Hauptstadt der Schweiz – ein Artikel aus der NZZ-Beilage
Der FC Basel und mit ihm die ganze Region hatten in diesem Jahr viel Grund zur Freude. (Bild: Reuters)
Hansueli Schöchli
Keine Frage: Basel ist die Hauptstadt der Schweiz. Zumindest wenn es um Fussball geht. Ob gemessen am sportlichen Erfolg, am Publikumszuspruch oder an den Finanzen: Der FC Basel hebt sich derzeit weit vom (biederen) Rest der helvetischen Fussballszene ab. In den elf Saisons der Schweizer Meisterschaft seit 2002 wurde Basel siebenmal Meister, dreimal Zweiter und einmal Dritter. Hinzu kamen sechs Cup-Siege. Viel deutlicher kann Dominanz nicht ausfallen. Der Zuschauerdurchschnitt in dieser Erfolgsphase von 25 000 bis 30 000 pro Spiel liegt zwei- bis dreimal so hoch wie das Mittel der obersten Schweizer Liga. Auch finanziell ist der Abstand zwischen dem Krösus und dem nationalen Rest gross. Der FCB generierte im Durchschnitt der letzten zehn Jahre Einnahmen von 40 bis 50 Millionen Franken pro Jahr, was ganz grob geschätzt etwa dem Dreifachen des Mittels der Liga-Konkurrenz entspricht und mindestens 50 Prozent über den (oft intransparenten) Budgets der härtesten Konkurrenten liegen dürfte.
Leicht geht vergessen, dass all dies nicht immer so war. 2002 brachte Basel den ersten Meistertitel seit 22 Jahren. Jene Periode von zwei Jahrzehnten lässt sich getrost unter dem Titel «Dauerkrise» zusammenfassen. In dieser Periode wechselte der Klub 18-mal den Trainer, war zwischendurch nahe am Konkurs und spielte von 1988 bis 1994 in der Nationalliga B.
Doch selbst in der Krisenzeit blieb die regionale Verankerung des FC Basel für Schweizer Verhältnisse aussergewöhnlich gross. Unvergessen ist etwa das Spiel gegen den FC Zürich in der Auf-/Abstiegsrunde im Frühjahr 1994, das mit 42 000 Zuschauern das alte St.-Jakobs-Stadion restlos füllte. Basels Aufstieg in jener Saison, welcher die lange Sehnsucht einer ganzen Region nach alter Grösse bediente, wurde gefeiert wie ein Meistertitel.
Güte des Nebenschauplatzes
Die starke regionale Verankerung des Klubs ist für die Schweiz ein Phänomen. Kein schlechter Ausgangspunkt für Erklärungsversuche ist das 2008 von zwei Engländern publizierte Buch «Soccernomics». Die Autoren, ein Ökonom und ein Sportpublizist, stellten fest, dass in manchen Ländern die stärksten Fussballvereine häufig nicht in den Hauptstädten zu Hause waren, sondern auf Nebenschauplätzen, oft in alten Industriegebieten. Manchester und Liverpool statt London; München und Dortmund statt Berlin; Mailand statt Rom; Marseille und Lyon statt Paris; Barcelona statt Madrid – und eben Basel statt Zürich oder Bern. Eine Erklärung dafür liegt nahe: Fussballvereine haben in den grössten Zentrumsstädten weit härtere Konkurrenz für die Aufmerksamkeit des Publikums. In anderen Städten dagegen, die politisch und wirtschaftlich meist die Nummer 2, 3 oder 4 am Rücken tragen, mag die Gleichung anders aussehen. Solche Städte haben etwas zu beweisen, und der lokale Fussballklub kann ein emotional starkes Mittel dazu sein. Die besagten englischen Buchautoren stellen derweil ein anderes Stück des Erklärpuzzles in den Vordergrund: Alte Industriestädte waren demnach in ihren Wachstumsphasen im 19. und frühen 20. Jahrhundert besonders stark auf Einwanderer angewiesen – für welche der lokale Fussballklub oft das ideale Vehikel zu einer raschen sozialen und emotionalen Integration darstellte.
Bilderstrecke: Die Fans des FCB
Was der FC Basel seinen Fans bedeutet.
Solche Erklärungsmuster für europäische Tendenzen müssen nicht für jeden Einzelfall voll zutreffen. In Basel verweisen manche Stimmen auf die geografische Randständigkeit und die damit verbundene Lust der Abgrenzung vom Rest der Schweiz – eine Lust, die mit dem FCB ein emotional starkes Vehikel findet. Dass das Basler Eishockey seit Jahrzehnten keine nationale Spitzenklasse verkörpert, hilft dem Fussballkrösus ebenfalls. Basler Stimmen betonen fast unisono, dass das lokale Fussballvirus alle Schichten erfasst. «Ob ich im Rotary-Klub, in einer Verwaltungsratssitzung, unter den Fans der Muttenzer Kurve oder in einem Behindertenheim bin – ich vernehme immer die gleichen Emotionen und ähnliche Meinungsäusserungen», sagt FCB-Präsident Bernhard Heusler: «Zum Teil ist es sogar so, dass Leute, die im Beruf grosse wirtschaftliche Verantwortung haben, mich sehr emotional zu an sich verantwortungslosem Handeln auffordern, wenn es um den FCB geht.»
Nervenspiel am Fernsehen
Viele Exponenten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur sind eingefleischte FCB-Fans – und waren es auch in den schlechten Zeiten. Zum Beispiel Thomas Cueni, Geschäftsführer des Pharmaverbands Interpharma, der auf «eine lange Beziehung» zum FCB seit den späten 1960er Jahren «mit Hochs und Tiefs» zurückblickt. Der SP-Ständerat Claude Janiak (Baselland) hat 1960 als 12-Jähriger sein erstes FCB-Spiel im Stadion gesehen. «Meine Nächsten sagen mir, dass man meinem Gemütszustand anmerkt, ob der FCB gewonnen oder verloren hat», sagt Janiak. Vor dem Fernseher sehe er die Spiele nicht gerne: «Das macht mich zu nervös.» Auch der langjährige Basler Chefökonom des Bundes und heutige Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti berichtet von nervlichen Problemen vor dem Fernsehgerät, die nur noch mit dem Abschaltknopf zu beheben waren.
Am Anfang stand Benthaus
Die Popularität des Klubs war nicht naturgegeben: Ohne Erfolg ging es nicht. In den ersten 70 Jahren seit seiner Gründung 1893 schaffte der FC Basel nur gerade einen Meistertitel (1953). Erst die Erfolgsphase unter Helmut Benthaus, der von 1965 bis 1982 Trainer war und sieben Meistertitel holte, hat den FCB zum Schweizer Zuschauerkrösus gemacht. «Früher spielte der EHC Basel vor 14 000 Zuschauern, und der FC Basel hatte nur 4000», sagt jener Mann, der zusammen mit Benthaus wie kein anderer für den Aufstieg zur Erfolgsgeschichte steht: Karl Odermatt, der heuer 70 wird, aber noch immer in Diensten des FCB steht und noch immer sehr populär ist. Auf der Strasse kommt Odermatt nach eigenem Bekunden kaum 100 Meter weit, ohne ein «Karli» zu hören. In den 1980er und 1990er Jahren, so schildert die Basler Fussballlegende, hätten die Väter ihren Kindern erzählt, wie in der Ära Benthaus alles viel besser gewesen sei, «und so wurde unsere Ära eine Art Mythos».
Nach seiner Aktivzeit spielte Odermatt eine Marketingrolle als Aushängeschild für den Klub und dabei insbesondere als Geldbeschaffer. Er erzählt, wie er in den Tiefen der 1990er Jahre, als dem Klub der Konkurs drohte, von der Leitung den Auftrag fasste, von 100 Firmen je 5000 Franken als Sponsorbeiträge zu beschaffen. Er musste sich von den Unternehmen viele Sprüche anhören, wie er schildert. Aber am Ende habe er die erforderlichen Sponsorengelder beschaffen können.