Sonntag, März, im Jahre zwei Doppel-Null Fünf. Von Frühlingsstimmung jedoch keine Spur. Schneetreiben, im ganzen Lande. Auch mit Ausschlafen wird heute nichts. Die Axpo Super League ruft zum Schlager-Spiel zwischen dem FC Basel und dem Grasshopper-Club aus Zürich. Von einer Nationalliga weiss heute kaum mehr jemand was. Die NZZ hat ihren einjährigen Boykott längst beendet und schreibt heute auch immer brav von dieser Axpo Super League. Sogar die meisten Fanpages im Internet haben die neue Namensgebung mittlerweile übernommen. Eigentlich verwunderlich, kam doch der Protest hauptsächlich aus der Fan-Ecke. Und seit Sat 1 kann man ja bekanntlich an Sonntagen nicht mehr ausschlafen, aber natürlich nur sofern man Stadiongänger ist. Für alle anderen tut dieser Sender Wunderbares.
Beim Stadion angekommen, begebe ich mich zum Kassenhäuschen. Ab der kurzen Warteschlange freue ich mich irgendwie, bald merke ich aber, dass dafür die Wartezeit um so länger ist. Eigentlich unlogisch, aber eben doch so. Auch die Menschen hinter der Glasscheibe sind irgend wie anders als sonst. Keine Studenten wie üblich, die sich etwas Geld dazu verdienen wollen. Statt dessen klassische Büroangestellte, vertieft in die Bildschirme die sie vor sich haben. Hinter den meist weiblichen Ticketverkäuferinnen, stehen Männer, ausgestattet mit Funkgeräten, die sie auch rege bedienen. Als ich endlich vor der Glasscheibe stand, suche ich den Blickkontakt mit der Ticketverkäuferin. Doch Fehlanzeige. Ihr Blick gilt in diesem Moment nur dem Bildschirm. Hastig schien sie irgend was in ihrem Computer zu suchen. Auch der Funkmann hinter ihr, ist mit seinen Funk-Abfragen ganz beschäftigt, dass er einem schon fast leid tat. Als die Dame hinter der Glasscheibe endlich meine Ticketwünsche entgegennahm, erwähnt sie gleich, dass es nur noch Plätze auf den unteren Reihen gäbe. Ich erwiderte dass ich mich halt nun damit abfinden müsse, spielte aber trotzdem ein wenig auf u201Ebeleidigtu201C, obwohl es mich nicht im Geringsten kratzte, wo jetzt dieser Platz genau war. Damit war aber noch nicht genug. Etwas Überrascht bin ich als mich die Dame nach meinem Namen fragt. Ein Akt neuer Kundenfreundlichkeit? Nein, muss ich feststellen, als sie mich auch noch nach der Adresse, Wohnort und Telefonnummer fragt. Obwohl ich die Antwort bereits kenne, frage ich natürlich nach, weshalb die gütige Dame denn so an meinen Daten interessiert sei. u201EMan müsse das eben machenu201C heisst es, sagt zwar weniger als nichts aus, aber genau das was ich erwartet habe. Ein Ausweis wird zu meiner Überraschung übrigens nicht verlangt. Ein Junge an der Kasse neben an sagt laut, dass er seinen Namen schon nennen könne, er habe ja kein Stadionverbot. Als die Dame meine Personalien in ihre Flimmerkiste eingegeben hat, und ich eine grössere Note auf den Drehschalter gelegt habe, kriege ich im Gegenzug endlich mein Ticket. Zu meiner Überraschung beginnt die Dame dann wieder eifrig mit der Tastatur zu spielen, so als ob sie was suchen würde, immer wieder kurz was eingeben, dann kurz warten. Auch der Funkmann glotzt ganz interessiert auf den Bildschirm und nimmt dann sein Funkgerät zur Hand. Um dem Treiben noch einige Sekunden länger zu zuschauen, stellte ich mich ein wenig ungeschickt an, als ob ich Mühe hätte, mein Ticket in der Geldbörse zu verstauen.
Verwirrt gehe ich der Strasse hinter der Tribüne entlang. Verärgert und auch ein wenig ängstlich schaue ich den Pfosten empor, die die angrenzende Strasse säumen. Ganz oben an den Pfosten sehe ich kleine schwarze Halbkugeln. Als Fachkundiger weiss ich, was sich hinter diesen schwarzen Halbkugeln verbirgt. Die Augen des grossen Bruders. Ich schaue die Menschen um mich an und frage mich gleichzeitig, wie viele wohl auch davon wissen.
Beim Eingang angekommen, werde ich kurz gefilzt. Bevor ich noch 5 weitere Schritte gehen kann, werden mir zwei Zettel in die Hände gedrückt. Der erste ist auf Hochglanz gedruckt. Ohne ihn gross anzuschauen, nehme ich ihn in meine Rechte Hand, zerknülle ihn, und werfe ihn weg. Der Zweite Zettel ist vom Dachverband Muttenzerkurve. Ich überfliege den Text kurz, falte den Zettel, um ihn in meine Tasche zu stecken, damit ich meine Hände wieder vor der Kälte schützen kann.
Ein erster Blick in die Muttenzerkurve. Ein Transparent mit der Aufschrift u201EDangge für d Stehplätzu201C. Ich wundere mich, war es doch noch vor einigen Jahren üblich, dass es hauptsächlich Stehplätze in den Stadien gab. Der Gästeblock ist noch ziemlich leer. Ich stehe oben am Treppenaufgang und verschaffe mir einen Überblick über die einlaufenden Spieler auf dem Spielfeld. Sofort eilt ein Steward in gelbem Überzieher heran und weist mich weg, ich solle gefälligst sitzen sagt er. Auf meinem Sitzplatz liegt Schnee. Mit einem gebrauchten Taschentuch wische ich ihn weg. Der Sitz bleibt aber feucht. Aus Furcht vor den sitzenden und grimmig blickenden Mitzuschauern um mich, setze ich mich auf die feuchte Sitzschale. Ich träume von ein Stehplatz und Bewegungsfreiheit die bei dieser Kälte sicher nicht unnützlich wäre. Wennu2019s kalt ist, ist Bewegung alles. Über die Stadionlautsprecher ertönen Lieder die man sonst eigentlich in den Fankurven hört. Mitsingen tun nur wenige. Der Spielbeginn naht. Die grossflächige Werbefläche im Mittelkreis wird verräumt. Nachdem die Mannschaftsaufstellungen präsentiert wurden, betreten die Spieler das Spielfeld. In der FCB Fankurve kommen duzende Fahnen und einige Bengalen zum Vorschein. Für einen Moment scheint die Welt wieder in Ordnung zu sein. In der Gästekurve wird ein Transparent mit der Aufschrift u201EWiderstandu201C entrollt. Die Leute um mich fragen sich was das zu bedeuten habe.
Das Spiel ist im Gange. u201ENuru201C 21'000 Zuschauer sind gekommen. Sicherlich keine schlechte Zahl, wenn man bedenkt dass das Wetter mies war und die Zuschauerzahlen andernorts bestenfalls 2 mal im Jahr fünf stellige Werte erreichen. Ich denke an den Stadion-Ausbau.
Von der gelobten Stimmung vernehme ich wenig. Ausser einem Teil in der Muttenzerkurve sitzen alle artig auf ihren Sitzschalen und klatschen bestenfalls nach einem Schuss aufs Tor.
Plötzlich ertönen über die Lautsprecher eigenartige Geräusche und auf der Videowand lese ich u201EVoll im Schuss mit der BKB, 51 km/hu201C. Werbeaktionen mit Akustik wie diese, bin ich mir eigentlich nur vom Eishockey gewohnt. Aber auch dort nur während den Spielunterbrüchen. Die GC Fans haben unterdessen ein Transparent mit der Aufschrift u201EAuswärts zu Gast? Willkommen im Knastu201C entrollt. Die Leute um mich fragen sich wieder was das zu bedeuten habe. Nach einer ereignisvollen ersten Spielhälfte, gönnen ich mir einen Punsch, um nicht ganz zu erfrieren. Ich staune nicht schlecht, als der Herr hinter der Theke 5 Franken für einen mickrigen Punsch verlangt. Ich entscheide mich in der zweiten Hälfte nicht mehr auf meinen Sitzplatz zurückzukehren und bleibe statt dessen stehend im oberen Durchgang, dafür mit etwas eingeschränkter Sicht. Hinter mir schwärmt ein Mann Mitte fünfzig von einem Kunstrasen, wenn man den mal habe, seien alle Problem gelöst, meint er. Eine ältere Dame in einer Gruppe älterer Matchbesucher, erzählt etwas von einer Bodenheizung auf der Tribüne. Ein älterer Herr, dem Aussehen nach ein bodenständiger Typ kontert aber auf der Stelle u201Edas brauche man nichtu201C. Die anderen um ihn nicken und auch die Frau die von dieser Idee erzählte, fügte hinzu u201Eund sonst würden dann wieder alle motzen, dass es zu heiss wäreu201C. Das Spiel hat unter dessen wieder begonnen. In der zweiten Spielhälfte zeigt sich ziemlich bald dass die Mannen in Rot-Blau als Sieger vom Spielfeld gehen werden. Nach dem vierten Tor für Basel fällt der Jubel relativ verhalten aus, dafür schreien alle im Kollektiv um so lauter u201EScheiss GCu201C. Die letzten Minuten scheinen eine Ewigkeit zu dauern. Die Kälte macht es einem nicht einfach. Dann endlich, der Schlusspfiff. Die durchgestylten Spieler kommen kurz vor die Tribüne und winken den Zuschauern zu und verschwinden daraufhin in den Katakomben. Ich verlasse meinen Platz und mische mich unter die das Stadion verlassende Menschenmenge. Von einer Jubelstimmung bekommt man nicht viel mit. Spontan kommt mir eine Choreographie aus der Muttenzerkuve in den Sinn. Erfolg macht satt. Als ich endlich auf dem Vorplatz angekommen bin, lichtet sich die Menschenansammlung, die Menschen gehen ihren eigenen Weg. Wie ich. Aus einer, aus dem Stadionuntergrund kommenden Tiefgaragenausfahrt kommen Luxuswagen gefahren. Audi, Mercedes, nur das Beste. Ich bleibe einen kurzen Moment stehen und beobachte die Insassen der an mir vorbeifahrenden Wagen. Das müssten nun eben diese Leute sein , die sich das Spiel hinter den Glasscheiben, hoch oben unter dem Tribünen-Dach, separiert vom Pöbel, in diesen Logen anschauen.
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Stimmt nicht ganz die Leute von der Senioren Residenz koennen das Spiel auch hinter der Galsscheibe mitverfolgen die sind aber keine BonzenOdilo Bürgy hat geschrieben:Aus einer, aus dem Stadionuntergrund kommenden Tiefgaragenausfahrt kommen Luxuswagen gefahren. Audi, Mercedes, nur das Beste. Ich bleibe einen kurzen Moment stehen und beobachte die Insassen der an mir vorbeifahrenden Wagen. Das müssten nun eben diese Leute sein , die sich das Spiel hinter den Glasscheiben, hoch oben unter dem Tribünen-Dach, separiert vom Pöbel, in diesen Logen anschauen.

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