quelle:BaZ.ch
CHEFSCOUT RUEDI ZBINDEN ÜBER DIE FCB-TRANSFERPOLITIK UND DIE TÜCKEN DES HEIMISCHEN UND WELTWEITEN SPIELERMARKTES

Engagiert. Chefscout Ruedi Zbinden - mit klaren Worten verteidigt er die FCB-Strategie. Foto Stefan Holenstein
INTERVIEW: MARCEL ROHR und CHRISTOPH KIESLICH
Vor dem Auswärtsspiel in Sion (Sonntag, 16.00 Uhr) spricht der einstige Nationalliga-Spieler über seine zeitintensive Arbeit bei den Rotblauen, über Ansprüche und Wirklichkeit auf dem Transfermarkt.
Nach dem durchzogenen Saisonstart ist die Transferpolitik des FCB in die Kritik geraten. Zu viele Ausländer, zu wenig Schweizer, kein neuer Spielmacher - das die meist genannten Vorwürfe. Im baz-Interview nimmt Ruedi Zbinden (47) dazu Stellung.
baz: Ruedi Zbinden, bis Ende August läuft noch die Transferzeit. Wie viele Spieler werden Ihnen angeboten?
RUEDI ZBINDEN: Rund zwanzig pro Tag, manchmal auch mehr. Da sind zum Teil die abenteuerlichsten Sachen dabei.
Zum Beispiel?
Einer bot mir kürzlich per SMS den Brasilianer Marcelinho von Hertha Berlin an. Viele Angebote kommen per Fax, einige per Mail, die meisten sind unseriös.
Können Sie das erklären?
Ich arbeite nur mit Spielerberatern zusammen, die eine Fifa-Lizenz haben und die zusätzlich aus der Fussballpraxis kommen. Allein dieser Aspekt schränkt den Kreis stark ein.
Der FCB ist daran, den Brasilianer Cristiano zu verpflichten. Wie lief dieser Deal bislang ab?
Ich hatte ihn schon lange in den Akten, weil er mir vor Jahren in Holland aufgefallen ist. Spieler, die mir auffallen, schreibe ich auf Blätter und lege diese ab. Dazu habe ich auch Videos von ihm gesehen.
Wer besorgt die Bänder?
Ein Engländer, der in Deutschland lebt. Die Bänder kommen dann per Express nach Basel.
Auf was achten Sie und Trainer Christian Gross, wenn Sie einen neuen Spieler verpflichten?
Auf jedes Detail. Deshalb beobachte ich einen Kandidaten oft auch im Training. Jubelt er mit, wenn ein Tor gefallen ist? Wie reagiert er, wenn er schlecht spielt oder wenn sein Team verliert? Wenn ein Spieler dann nach Basel kommt, will Gross immer zuerst mit ihm reden. Dann zeigen wir ihm die Stadt, das Stadion, die Trainingsplätze. Oft überlegen wir hundert Mal, ob einer zu uns passt oder nicht.
Gibt es deswegen auch Differenzen mit Gross - wenn Sie zum Beispiel einen Spieler bringen, der ihm nicht passt?
Ich weiss aufgrund unserer vielen Vorbesprechungen genau, was wir suchen, und auch Gross will jedes Detail wissen. Das engt den Kreis stark ein. Deshalb bringe ich meistens den Richtigen.
Trotzdem wird die FCB-Transferpolitik in diesem Sommer von allen Seiten kritisiert. Zum Beispiel, dass noch kein Nachfolger von Matias Delgado gefunden wurde.
Als Delgado nach Istanbul ging, beschlossen wir, Ivan Ergic oder Mladen Petric hinter den Angriffsspitzen zu forcieren. Dann verletzten sich mit Eduardo und Carignano gleich zwei Stürmer. Natürlich begreife ich, dass die Leute ungeduldig werden. Aber man muss berücksichtigen, wie schwierig der Transfermarkt geworden ist.
Was macht diesen Markt denn so heikel?
Der FC Basel hat seit dem Meistertitel 2002 vierzig Spieler verkauft oder abgegeben, davon waren über zwanzig Schweizer. Damals hatten wir noch 14 Spieler mit Schweizer Pass im Kader, heute ist es noch etwa die Hälfte. Handkehrum verdienen rund siebzig Schweizer Spieler ihr Geld im Ausland. Die Talente gehen immer früher weg und gleichzeitig verlieren auch wir immer mehr gute Junge - denken Sie nur an Atouba, Philipp und David Degen, Streller oder jetzt Delgado. Der Schweizer Markt ist deshalb total ausgetrocknet oder überteuert.
Aber es gibt auch in der Schweiz Talente, die dem FCB gut anstehen würden. Wie Blerim Dzemaili vom FCZ.
Stimmt, mit ihm haben wir vor einem Jahr geredet. Der FCZ verlangte schon damals einen mehrstelligen Millionenbetrag. Es gibt viele dieser Beispiele.
Welche?
Mir ist schon vor Jahren ein Philippe Senderos aufgefallen. Er sagte, er wolle sofort nach Spanien oder England, heute ist er bei Arsenal. Wir haben mit Valon Behrami verhandelt, da wollten seine Eltern viel zu viel Geld. Mit Tranquillo Barnetta sprachen wir mehrere Male, später mussten wir erfahren, dass er bereits bei Leverkusen unterschrieben hatte.
Zählt immer nur das Geld?
Meistens schon. Man muss aber auch sehen: Der FC Basel hat internationale Ansprüche. Das heisst, wir können nicht fünf Nachwuchsspieler gleichzeitig einbauen. Da muss man die richtige Mischung finden. Dafür muss etwas wachsen, aber das Geschäft wird immer schnelllebiger.
Auffallend ist, dass sich der FCB regelmässig auf dem südamerikanischen Markt bedient. Warum?
Wir haben mit den Argentiniern gute Erfahrungen gemacht. Einen Afrikaner oder einen Südamerikaner kann man überzeugen, dass er nach Basel kommt, weil er unseren Verein als Plattform für seine weitere Karriere sieht. Ein Deutscher, ein Spanier oder ein Italiener, ja selbst ein guter Tscheche oder ein guter Slowake kommt nicht mehr in die Super League zum FCB. Das reizt nicht, und wir könnten den Spieler unmöglich bezahlen.
Was heisst das in Zahlen ausgedrückt?
Ein solcher Spieler will netto mindestens 600000 Franken jährlich verdienen. Dort fängt es an. Dann kommen die Prämien dazu. Da haben wir keine Chance. Deshalb müssen wir schauen, dass wir mit unserer Transferpolitik Erträge erzielen können, wie beispielsweise bei Delgado. Denn die Zuschauer- und Sponsoringeinnahmen allein reichen nicht. Um unser Budget ausgeglichen zu gestalten, braucht es dazu entweder noch die Champions League oder eben die Transfererlöse, um nicht regelmässig auf die Unterstützung von Präsidentin Gigi Oeri angewiesen zu sein. Wir haben es nicht so komfortabel wie zum Beispiel ein Aufsteiger in der ersten französischen Division, der ein höheres Budget hat als wir, die Hälfte davon aber schon automatisch durch die TV-Einnahmen gedeckt hat - anders als der FCB, der trotz einer Viertelfinalqualifikation im Uefa-Cup unvergleichlich weniger TV-Einnahmen erzielen kann.
Wie schwierig ist es denn, einen jungen Brasilianer in die Schweiz zu holen?
Sehr schwierig. Ich war schon oft in Brasilien und sah dort selbst auf der Wiese und auf der Strasse hochtalentierte Nachwuchsspieler, unglaublich. Die Probleme hier: Erstens dürfen wir aufgrund der Fifa-Reglemente keinen Spieler aus Südamerika und Afrika unter 18 Jahren verpflichten, was an sich richtig ist. Zweitens bekommt in der Schweiz nur der eine Arbeitsbewilligung, der direkt ins Profikader aufgenommen wird. Wollen wir einen aber im Nachwuchskader ausbilden, bekommt er die Arbeitsbewilligung nur, wenn er in seinem Heimatland entweder bereits Nationalspieler ist oder schon drei Jahre in der höchsten Liga gespielt hat. Erfüllt nun aber ein Spieler diese Kriterien, ist er für uns bereits viel zu teuer.
Da besteht eine Chancenungleichheitu2026
Genau, denn unsere Schweizer Talente gehen mittlerweile bereits mit 14 Jahren ins Ausland.
Fehlt es dem FCB aber nicht auch an Persönlichkeiten auf dem Platz?
Das hat die baz so geschrieben, ich muss dem teilweise beipflichten. Persönlichkeiten sind besonders schwer zu finden - und hat man einen reifen lassen, ist er auch schon wieder weg.
Herr Zbinden, wie definieren Sie Ihre Arbeit beim FCB eigentlich selbst?
Ich mache Spielbeobachtungen und sondiere den Spielermarkt. Ich mache beides gerne, aber ich muss mich auf das Wesentliche konzentrieren.
Wer hilft Ihnen?
Die Crew mit Christian Gross, Gigi Oeri, Jurist Bernhard Heusler und mir funktioniert gut. Daneben habe ich mir ein Netz aufgebaut mit ehemaligen Spielern und Trainern, die mir Informationen liefern aus Asien, Nordeuropa und Südamerika.
Wie sind Sie Chefscout geworden?
Vor zehn Jahren habe ich beim FCB als Juniorentrainer angefangen. Ich wollte den Job als Scout, auch deshalb, weil ich gesehen habe, dass fast kein Club in der Schweiz Anstrengungen in diese Richtung unternimmt. Man muss arbeiten, arbeiten, arbeiten, um nach oben zu kommen.
Trotzdem heisst es oft, Sie seien überlastet. Zu Recht?
Die Gefahr besteht, ja. Aber die Übersicht verliere ich nie.
Sion-Stürmer Sanel Kuljic sorgt mit seinen Toren für Furore. Ist Ihnen da eine Trouvaille durch die Lappen gegangen?
Ich kenne Kuljic. Aber mit Carignano und Eduardo haben wir bereits zwei Angreifer, die vom Typ her ähnlich sind wie er.
Wo bleibt da das Privatleben?
Das ist stark eingeschränkt. Ich bin zehn Monate im Jahr unterwegs.
Und trotzdem droht dem FC Basel eine schwere Saisonu2026
Kein Verein der Welt gewinnt immer. Seit 2002 hatten wir in Basel nur Erfolg. In letzter Zeit lief viel gegen uns, aber das soll keine Ausrede sein. Wir wollen wieder zurück in die Champions League.
Gönnt sich Ruedi Zbinden dann auch mal einen freien Tag?
Vor zwei Jahren war ich mal eine Woche auf Mallorca, da habe ich sogar das Handy abgestellt. Heute bin ich sonntags oft bei meinem 93-jährigen Vater in Rheinfelden, der dann für mich und meinen Bruder Hans etwas Feines kocht. Aber dann reden wir fast nur über Fussball.