FLAMMEND' HERZ
ZDF / 12.12.05 / 00.05 (Mo auf Di)
Der Dokumentarfilm "Flammend' Herz" erzählt die Geschichte von drei Männern um die neunzig, deren Freundschaft mehr als ein halbes Jahrhundert umfasst. Sie handelt von Liebe, Verrat und Enttäuschung, von Haltung und von Leidenschaft. "Flammend' Herz" erzählt mal tragisch, mal komisch, wie die drei einst zusammenfanden und warum sie sich heute kaum in die Augen sehen können. Ihre Biografien beschreiben dabei ein Jahrhundert (Tätowier-)Geschichte.
Herbert, der etablierte Geschäftsmann, Karlmann, vornehmer Sohn großbürgerlicher Eltern, und Albert, ein handfester Seemann, überwanden sämtliche gesellschaftliche Schranken, um gemeinsam ihre Leidenschaft fürs Tätowieren auszuleben. Auf den ersten Blick wirken die Drei wie gutbürgerliche ältere Herren um die neunzig. Sobald sie aber ihre Hemden abstreifen, kommen auf ihrer Haut pergamentene Bilder zum Vorschein, die in Momentaufnahmen ihre Lebensgeschichten erzählen.
Die Drei sind geeint im Willen, ihr Leben nur so zu leben, wie sie wollen - egal wie hoch der Preis ist. Verschieden sind sie durch ihre unterschiedliche soziale Herkunft, ehemals unüberwindbare gesellschaftliche Schranken. Über ihre gemeinsame Leidenschaft fürs Tätowieren fanden sie zusammen und gerade deshalb trennten sich ihre Wege im Streit wieder.
Die alten Herren tragen die Spuren ihrer Biografien sichtbar auf der Haut. Sie sind von Kopf bis Fuß mit blauer Tinte gezeichnet. Verblasste Bilder zeugen von den glücklichen Tagen der Vergangenheit, in der sie sich wie Lausbuben mit kindlichem Eifer gegenseitig auf dem Körper des anderen verewigten und sich ebensolche Treue schworen.
Herbert Hoffmann, Jahrgang 1919, stammt aus einer aufstrebenden, begüterten Fleischerfamilie in Pommern. Die Erziehung war puritanisch und streng. Mit Ausdauer und Willenskraft, einer fast schon an Starrköpfigkeit grenzenden Beharrlichkeit verfolgte er nach dem Krieg sein Ziel, Tätowierer zu werden, ohne jemals seine bürgerliche Herkunft abzustreifen. Sein ausgeprägter Geschäftssinn verhalf ihm mit seiner 1961 gegründeten "Ältesten Tätowierstube Deutschlands" in Hamburgs St. Pauli zu Wohlstand und Reichtum in einer Branche, die damals noch als unanständig verrufen war. Heute gilt er unter jungen Tattoofans als Pionier der Tätowiergeschichte, als "lebende Legende". Seine in den 50er Jahren entstandenen Fotos von Tätowierten sind ein eindrucksvolles Zeit- und Sittendokument.
Karlmann Richter, Jahrgang 1913, interessierte sich schon als Jugendlicher eher für die tätowierten Hafenarbeiter als für seine Pflichten als Erbe und Nachfolger der feinen Kieler Unternehmerfamilie, die Leute wie Albert Einstein zu ihren regelmäßigen Gästen zählte. Erst mit knapp sechzig Jahren, zu Anfang der 70er Jahre, schaffte Karlmann es, die Fesseln seiner großbürgerlichen Herkunft abzustreifen und mit Unterstützung von Herbert Hoffmann in Hamburg St. Pauli ein neues Leben als Tätowierer zu beginnen. Dafür verließ er ohne jede Vorwarnung seine Frau und vier Kinder - am Abend vor Weihnachten. Seinen Sohn Manfred, der im Film ebenfalls mitwirkt, sah er erst zwanzig Jahre später wieder. Die anderen Kinder nie.
Albert Cornelissen, Jahrgang 1913, ist ein Bär von einem Mann, unverwüstlich, bodenständig und humorvoll. Er wuchs in einer klassischen Arbeiter- und Seefahrerfamilie auf, in der Tätowierungen zur Familientradition gehörten. Er führte viele Jahrzehnte ein unstetes Nomadenleben, reiste als Seemann um die Welt und später mit seiner Familie in einem Tattoomobil durch Europa, bis er schließlich in Hamburg sesshaft wurde.
Die drei ungleichen Männer gingen ihrer Tätowier-Leidenschaft schon in einer Zeit nach, in der Tattoos geächtet und verpönt waren, in der Tätowierte als Außenseiter und Verbrecher galten.
In tragischen und komischen Momenten erzählt der Dokumentarfilm "Flammend' Herz" von gesellschaftlicher Moral und individueller Freiheit, von ungeheurer Kraft und allzu menschlicher Schwäche und davon, wie die Lust am Tätowieren zur Obsession wird. Eine Obsession, die verbindet, die aber wie jede Leidenschaft auch großen Schmerz verursachen kann.
Für die drei Freunde stellt sich am Ende die Frage: Gibt es eine Chance zur Versöhnung?
"Flammend´ Herz" hatte seine Uraufführung bei der Berlinale 2004 in der Sektion Perspektive Deutsches Kino und wurde als deren bester Film mit dem Preis "Dialogue en perspective" ausgezeichnet. Er lief bisher auf über 20 weiteren nationalen und internationalen Festivals. Im Herbst 2004 kam er auch ins Kino. "Flammend´ Herz" ist der Debütfilm von Andrea Schuler und Oliver Ruts, der selbst als Tätowierer arbeitet.
Länge: 90 min
Regie: Andrea Schuler und Oliver Ruts
Kamera: Lars Barthel
Musik: The Dead Brothers
Flammend' Herz (Musik: Dead Brothers)
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