So sah sich die deutsche Gesellschaft um 1930 wiederum Jugendlichen gegenüber, die sich zu Gangs zusammenschlossen und Furcht verbreiteten: "Ein Gespenst, unfassbar, unentlarvbar, lauert im Hintergrund fast aller Berliner Strafprozesse, die gegen Jugendliche geführt werden: das Gespenst der wilden Cliquen", hieß es in einem zeitgenössischen Bericht aus dem Jahre 1931. Die Gangs, die es insbesondere in Großstädten wie Berlin gab, wurden zum Inbegriff einer verrohten, von den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen zerrütteten Jugend. Es kam zu regelrechten Aufständen in Erziehungsanstalten, die Furore machten und breite Wirkung zeigten. So griff der Pädagoge Peter Martin Lampel 1928 die Vorfälle in seinem Schauspiel "Revolte im Erziehungshaus" auf und präsentierte dem schockierten bürgerlichen Publikum eine jugendliche Lebenswirklichkeit geprägt von Arbeitslosigkeit, Verwahrlosung und Kriminalität. Breit in der Presse diskutiert wurde um 1930 eine neue Selbstmordwelle Jugendlicher, die über das Land hereinbrach und sogleich Fragen nach einer Krise der Gesellschaft auslöste.
Arbeitsdienst gegen Jugendarbeitslosigkeit
In der Endphase der Weimarer Republik, in der militante Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum an der Tagesordnung waren, wurden einmal mehr Rufe nach Disziplinierung der Jugend laut, um die Halbstarken zu bändigen. Zahlreiche Politiker forderten die Einführung von Arbeitsdienst oder Lagererziehung für schwierige Jugendliche. Dass die radikalen Parteien, nicht zuletzt die Nationalsozialisten, von der Verunsicherung profitierten, steht außer Frage. Bereits in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre hatte es Pläne für einen Arbeitsdienst unter Hinweis auf die bedenklichen Folgen von Erwerbslosigkeit für Jugendliche gegeben. Um 1930 nahm der öffentliche Druck zu, eine solche Maßnahme umzusetzen.
Die NS-Diktatur schließlich perfektionierte nach 1933 mit ihren Jugendorganisationen, der "Hitler-Jugend" (HJ) und dem "Bund Deutscher Mädel" (BDM), das System des Drills und Schleifens. Auch der Alltag im sogenannten Landerziehungsjahr wurde im Sinne nationalsozialistischer Lagererziehung mit Uniformierung, weltanschaulichem Unterricht, Paraden und Lagerappellen ausgefüllt.
Der Dienst in der HJ diente zunehmend der vormilitärischen Ausbildung und der Vorbereitung auf den Kriegs- oder Kriegshilfsdienst. Schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, erst recht dann im Krieg diente die Organisation der Erziehung für den Kriegseinsatz von Kindern und Jugendlichen an der "Heimatfront". Kinder und Jugendliche wurden mit kriegsnotwendigen Aufgaben vertraut gemacht und dabei intensiv zu Gehorsam, Ein- und Unterordnung erzogen - weit weniger spielerisch, als manche Zeitzeugen es heute schildern.
Texashosen, Lederjacken, bunt gestreifte Rollkragenpullover
Die Grundgedanken einer freiheitlichen Erziehung lebten aber auch nach 1933 weiter fort. Sie finden sich etwa in Plänen des deutschen Widerstands gegen Hitler zur Neuordnung Deutschlands wider. Bewusst wurde dabei an die Jugendwohlfahrtsgesetzgebung und das Jugendstrafrecht der zwanziger Jahre angeknüpft - etwa den Artikel 122 a der Weimarer Verfassung, nach dem die Jugend "gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige und körperliche Verwahrlosung zu schützen" sei.
"Arbeitserziehung" blieb allerdings nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein probates Mittel der Fürsorgepädagogik. Und: Härte sowie Disziplin lebten in der Erziehung in den Schulen und Familien auch nach 1945 noch lange fort. Nicht zuletzt, weil die "Halbstarken" der fünfziger Jahre mit Aufsehen erregenden Massenkrawalle und Schlägereien das Thema Jugendgewalt neu aufbrachten. Jugendliche Gangs belästigten Passanten, randalierten oder demolierten öffentliche Anlagen.
Ihr großes Vorbild: Der Film "Die Halbstarken" mit Horst Buchholz, der 1956 für Furore sorgte und Zeitungsberichten zufolge zu wahren Gewaltorgien führte: "Nach den Kinovorstellungen strömten die Jugendlichen - fast alle im genormten Dress von genieteten Texashosen, Lederjacken oder bunt gestreiften Rollkragenpullovern - zu Hunderten in die Innenstadt" berichtete etwa die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" vom 12. Dezember 1956, "Sobald die Polizei auftauchte, begann ein vielstimmiges Gejohle. Dann feierte die blinde Zerstörungswut Triumphe. Man warf Verkehrsschilder um, riss Weihnachtsgirlanden von den Geschäften und zertrümmerte Scheiben."
Schlendern, schlurfen, hängenlassen
Und doch: Nach 1945 fand Erziehung in Form von Dressur zwar noch statt, aber nicht mehr in dem früher verbreiteten Maß. Ein Grund war auch der Wandel des Männerbildes in den fünfziger Jahren. "Hart, gerade, frei stehen, marschieren, kurze Hose, Kleidung korrekt, Augen geradeaus" - so charakterisierte der Volkskundler Kaspar Maase die männliche Haltung der Zeit vor 1950; für die Zeit danach vermerkte er: "Sich hängen lassen, anlehnen, schlendern, schlurfen, lange Hose, Kleidung formlos, locker, verdeckter und gesenkter Blick."
Wer mit Drill groß geworden ist, kann sich allerdings nur schwer davon verabschieden - Angehörige der Altersgruppe, die im Krieg und in den Nachkriegsjahren groß geworden sind, bestätigen das. Sie sind mit erzieherischen Leitsätzen wie "Was mich nicht umbringt, macht mich stark" oder "Disziplin muss sein" aufgewachsen und haben diese an die eigenen Kinder weitergegeben - ob sie wollten oder nicht.
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