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Wie stellen Sie sich denn eine Reformation des Islam vor?
Der Ausgangspunkt muß der Prophet sein. Er hat sich selbst als u201EBote Gottesu201D bezeichnet. Er ist nicht gottgleich, sondern fehlbar, eben ein Mensch, der Gottes Wort verkündet. Wir sollten also alle mit den Menschenrechten vereinbaren Bestandteile seiner Lehre behalten, aber den Rest eben in seinem historischen Kontext, der arabischen Halbinsel des siebten Jahrhunderts belassen. Der zweite Schritt wäre festzustellen, daß auch der Koran nicht von Gott stammt, sondern 150 Jahre nach dem Tod Mohammeds von Menschen verfaßt wurde. Darin stehen viele Dinge, die wir heute überwinden sollten. Die Menschheit hat sich schließlich seitdem enorm entwickelt. Und der dritte Punkt ist die Sexualdoktrin. Ich spreche vom Dogma der Jungfräulichkeit vor der Ehe. Wenn wir das überwinden, werden die Frauen frei sein.
Wie steht es mit der Apostasie im Islam? Kann man austreten?
Wenn man es leise tut, schon . . .
Also nicht öffentlich, so wie Sie.
Nicht so wie ich, genau. Aber die neuste Mode ist ja, etwa in Ägypten, daß mißliebige Intellektuelle gegen ihren Willen aus der Umma ausgeschlossen werden. Dann werden sie zwangsgeschieden und zum Abschuß freigegeben.
Sie stehen nun schon seit einigen Jahren im Zentrum der Kontroverse, haben jede Menge Feinde - aber auch Anhänger. Sind Sie ein Vorbild für andere aus der islamischen Gemeinschaft?
Nein, ich rüttele bloß am Baum. Man kann mich nicht Vorbild nennen. Vorbilder wird es erst in der nächsten Generation geben Wir sind da noch ganz am Anfang. Es gibt aber in den Niederlanden eine leidenschaftliche Diskussion und schon wichtige junge islamische Autoren und Intellektuelle. Ich stehe zwar am Ausgangspunkt der Debatten - mit der Frage: Bist Du auf ihrer Seite oder nicht? -, dann aber kommt die Debatte auch auf die eigentlichen, inhaltlichen Fragen. Diese Debatte innerhalb der muslimischen Gemeinschaft müssen wir unterstützen und fördern, statt auf alte Männer mit Bärten und Kopfbedeckung zu hören, die uns doch nur mit Friedensillusionen einlullen, staatliche Unterstützung erbitten und versichern, sie hätten die Jugend im Griff, während dieselbe Jugend zum selben Zeitpunkt Straßenschlachten veranstaltet.
Leider ist die saudi-arabische Regierung, die einen rückständigen Islam verbreiten läßt, ein sehr enger Verbündeter des Westens und insbesondere auch der Vereinigten Staaten, wo Sie heute leben.
Das ist ein großes Problem. Wenn die Globalisierung so weiter voran schreitet, wird sich der Westen von solchen Verbündeten trennen müssen. Bin Ladin trifft natürlich einen richtigen Punkt, wenn er den Westen für die Unterstützung von Tyrannenstaaten verurteilt. Wir unterstützen Ägypten, die Saudis, Jordanien, Pakistan, die Golfstaaten - das sind alles keine Rechtsstaaten und keine Demokratien. Diese ganze sogenannte realistische Außenpolitik in der Tradition von Henry Kissinger war ein Desaster. Jetzt haben wir dort despotische Regimes mit einer ungebildeten, jungen arbeitslosen Bevölkerung, die der Religion hilflos ausgesetzt ist. Sie können dort nicht von einem Tag auf den anderen das Mehrheitswahlrecht einführen. Dazu gehört erst einmal das freie Individuum, das sich informiert, das weiß, worüber es abstimmt. Das wird in diesen Ländern nicht so schnell gehen.
Oder wenn, dann kommt es zu einem Wahlerfolg der Hamas.
Auch so ein Punkt. Statt die Hamas mal regieren zu lassen, eine Verwaltung betreiben zu lassen, wo sie recht schnell in Konflikte mit ihrer Scharia geraten würde, hilft die Europäische Union, die Widersprüche aufzulösen, in dem sie zahlt, so daß die Hamas das Geld nur zu verteilen braucht. Wir nennen die Hamas völlig zurecht eine kriminelle Vereinigung, aber werfen ihr auch noch das Geld hinterher! So halten wir die Palästinenser und die anderen arabischen Bevölkerungen in erbärmlichen und rückständigen Verhältnissen.
In den Vereinigten Staaten kursiert das Argument, die Amerikaner zahlten doppet, sowohl für teures Benzin, das die islamischen Despoten stützt, als auch für den Militärhaushalt.
Das trifft zu. Öl war ein Fluch für die ganze Region. Nehmen sie nur Nigeria, früher kein islamisches Land, dort wurde nun, auf der Woge der Öleinnahmen, ebenfalls die Scharia eingeführt. Wir müssen vom Öl loskommen.
Sie wirken, seit Sie die Niederlande verlassen haben, am American Enterprise Institute, das den Republikanern nahesteht. Wie bewerten Sie den Irak-Krieg?
Diese Idee, in ein Land hineinzugehen und in zwei Jahren Demokratie herzustellen, war eine naive Utopie. Nun aber wird Amerika den Irak nie verlassen. Das wird noch Generationen dauern. Und langfristig - mal sehen. Indien, das sich nun zu einer prosperierenden Demokratie entwickelt, war auch die Kolonie, um die sich die Briten am längsten kümmerten.
Alles, was Sie sagen, läuft auf die Notwendigkeit einer theologischen Reform des Islam hinaus. Nun spricht aber nicht nur Navid Kermani von einer akuten Krise der islamischen Theologie - einer Krise, die der Reform im Wege steht.
Ja. Da Mohammed in einer Stammesgesellschaft gewirkt hat und Krieg und Schlachten da große Themen waren, ist der Islam eine Religion der Sieger. Das ist natürlich mit den heutigen Fakten nur schwer zu versöhnen. Und eine Religion von Siegern braucht auch keine Theologie. Ich halte diese ganze Frage der fehlenden theologischen Autorität allerdings für die große Sollbruchstelle des Islam.
Das Gespräch führten Christian Geyer und Nils Minkmar
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