NZZ -- 13.01.2005
Jubiläumswürdig
Erstes Abfahrtstraining auf perfekter Lauberhorn-Strecke
Die weltbesten Abfahrer haben nach dem ersten Training am Lauberhorn am Mittwoch nicht mit Lob gegeizt für die fast 4500 m lange Strecke - und dies nicht nur aus Höflichkeit dem Jubilar gegenüber. «So gut präpariert habe ich die Piste noch nie erlebt», sagte der Österreicher Hermann Maier, der Lauberhorn-Sieger von 1998. Andere pflichteten ihm in anderen Worten bei. Maier, der Gesamtweltcup-Sieger des Vorwinters, wartet heuer noch immer auf den ersten Sieg und hat seine Ambitionen, dies in Wengen zu ändern, schon im ersten Training angedeutet. Nur weil er in den untersten Bereichen der Strecke nicht mehr mit vollem Risiko fuhr, musste er seinem Teamkollegen Werner Franz die schnellste Trainingszeit überlassen.
Doch noch ausgeprägter als anderswo ist in Wengen das erste Training von beschränkter Aussagekraft. Diesmal kam hinzu, dass eine Reihe von Fahrern im Ziel-S ein Tor verpassten, ohne dass dies in der Rangliste protokolliert worden wäre. Dabei urteilte mancher, diese letzte Schlüsselstelle sei auch schon schwieriger ausgesteckt gewesen. Wie fast jedes Jahr wurden an der Lauberhorn-Strecke sanfte Korrekturen vorgenommen. Der Weg nach der Minschkante wurde verbreitert, ebenso die nachfolgende «Brüggli»-Passage, doch zu relevanten Veränderungen des Pisten-Charakters habe dies nicht geführt, befand Bruno Kernen, der Sieger von 2003. Eine reizvolle Herausforderung wie immer erwarte die Fahrer auch im Jubiläumsjahr.
Mehr zu reden gab die Super-Kombination vom Freitag, eine im Weltcup neue Disziplin mit einem Slalomlauf am Morgen und einer Abfahrt, die oberhalb des Hundschopfs gestartet wird. «Eine neue Disziplin, die Zukunft haben könnte», sagte der norwegische Routinier Kjetil Andre Aamodt. Nicht zuletzt, um ein grosses Fahrerfeld am Start zu haben, werden am Freitag nur die Teilnehmer der Kombination auf die Abfahrt gelassen; wer trainieren will, muss am Morgen das Slalom-Ziel erreichen. Sollte sich das Wetter am Donnerstag wider Erwarten so sehr verschlechtern, dass nicht trainiert werden kann, überlegen sich vielleicht weitere Abfahrer den Start in der Super-Kombination. «Dann dürft ihr aber nicht hinschauen, wenn ich Slalom fahre», bat Jürg Grünenfelder vorbeugend um Nachsicht.
Zu reden gab schliesslich auch eine Nachricht aus Kanada. Die B-Probe von Hans Knauss, der in Lake Louise positiv getestet worden war, bestätigte den Nandrolon-Missbrauch des Österreichers. Mit welcher Taktik der ÖSV auch versuchen wird, einer strengen Bestrafung des bald 34-jährigen Steirers entgegenzuwirken, jetzt schon steht fest, dass Knauss an den Weltmeisterschaften in Bormio nicht starten wird. Seine Anhörung ist erst auf den 16. Februar, drei Tage nach dem Ende der WM, anberaumt worden.
Lauberhornrennen
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NZZ -- 12.01.2005
Die verrückten Siebziger
Das Duell Klammer - Russi, ein Zuschauerboom und viele Absagen
Die siebziger Jahre waren das verrückte Jahrzehnt des Skirennsports. Der österreichische Senior Karl Schranz wurde 1972 als Professional vom IOK von den Olympischen Spielen in Sapporo ausgeschlossen, im Bereich des Materials löste eine revolutionäre Erfindung die andere ab, die Schweiz entdeckte 1970 dank Bernhard Russis WM-Sieg von Gröden die Abfahrt als «Königsdisziplin». Sicherheit bedeutete damals, dass der verrückte Südtiroler Erwin Stricker für den Fall der Fälle seine Blutgruppe (Rhesusfaktor inklusive) auf den Helm pinselte. Und die neue Generation der jungen kanadischen Abfahrer hatte die Verrücktheit sogar im Namen: «Crazy Canucks» hiessen die Read, Podborski, Irwin. Die Euphorie des Schweizer Skipublikums war derart gross, dass so viele Zuschauer ans Lauberhorn pilgerten, wie überhaupt in die autofreie Station transportiert werden konnten: mit der Wengernalp-Bahn, via Grindelwald, zu Fuss hinauf von Lauterbrunnen, mit dem Helikopter. Nur ja nichts verpassen!
Die Lust auf «Sapporo-Verhältnisse»
Dass nur jedes zweite Mal auf der mehr als vier Kilometer langen Originalstrecke gefahren werden konnte, tat der Begeisterung kaum Abbruch, «Sapporo-Verhältnisse» wollten die Leute erleben, Erfolge, wie sie die Schweizer an den Olympischen Spielen 1972 mit den Rängen 1 (Russi), 2 (Collombin), 4 (Sprecher) und 6 (Tresch) erreicht hatten. Die Realität präsentierte sich bescheidener, Russi gewann nur einmal, 1973, als das Rennen auf die Frauen-Piste von Grindelwald verlegt werden musste; einmal siegte auch Collombin, 1974, als der Start an den Hundschopf hinunter verschoben werden musste. Und als 1979 Toni Bürgler das Lauberhorn und damit die erste Weltcup-Abfahrt seiner Karriere gewann, fand dieses Rennen in Crans-Montana statt. Erst 1980, 30 Jahre nach Fred Rubi, gewann mit Peter Müller wieder ein Schweizer auf dem Originalkurs. - Bernhard Russi vermochte auf der Classique im eigenen Land nie zu gewinnen - ebenso wenig wie in Kitzbühel. Dennoch prägte der Olympiasieger und Weltmeister die Lauberhorn-Rennen der siebziger Jahre - die Karriere Collombins ging ja nach zwei schweren Stürzen in Val-d'Isère vorzeitig zu Ende. Präziser war es der Zweikampf Russis gegen Franz Klammer, der am Samstagmittag jeweils die Strassen leer fegte. Dabei war es eigentlich ein einseitiges Duell. Klammer gewann vom 22. Dezember 1973 bis zum Januar 1977 nicht weniger als 20 Weltcup-Abfahrten, der fünf Jahre ältere Russi blieb während 1457 Tagen, vom 3. Februar 1973 bis zum 29. Januar 1977, ohne Weltcup-Sieg. Klammer siegte in Wengen dreimal in Folge, 1975 bis 1977. Am eindrücklichsten fiel sein erster Erfolg aus, als er sich gegenüber dem Training um mehr als 8 Sekunden steigerte und den Streckenrekord von Schranz um 25 Sekunden verbesserte; die 3,54 Sekunden vor dem Italiener Plank werden in den Weltcup-Statistiken noch immer als Rekordvorsprung in einer Männer-Abfahrt geführt.
Jurassic Park oder Klassiker?
Im Jahr darauf wurde eine Doppelabfahrt ausgetragen, und Russi war sich aufgrund der Trainingsleistungen seines ersten Sieges gewiss. Doch am Freitag wurde er lediglich Vierter und konnte tags darauf wegen eines eingeklemmten Ischiasnervs gar nicht fahren. Dafür machte er eine bahnbrechende Entdeckung: Er entlarvte die langsame Passage des «Brügglis» als «heimliche Schlüsselstelle», die erst seit 1997 auch Bestandteil der TV-Direktübertragung ist. In jenem Jahr lieferte der Franzose Luc Alphand die Schlagzeilen, als er diese langsamen Passagen als «völlig veraltet» bezeichnete und die Lauberhorn-Abfahrt ins Museum zu verbannen versuchte: «Das ist wie Jurassic Park - ein Dinosaurier unter den Abfahrtsstrecken.» Diese Diskussion ist inzwischen wieder verebbt, auch die Forderungen nach einer Überführung über die Wengernalp-Bahn sind verstummt. Der Klassiker aller Klassiker hat seinen unangefochtenen Platz im Weltcup vorerst auf sicher.
1991 - ein bitterer Jahrgang
1991 ist der bitterste Jahrgang in der Geschichte der Lauberhorn-Rennen. Zuerst bescherte der Golfkrieg in Kuwait in der Mittwochnacht via CNN ein ganz neues, verwirrendes Live-Gefühl am Fernsehen, dann führte ein tödlicher Unfall zur Absage der Rennen. Bei strahlendem Wetter, aber auf einer welligen, pickelharten Piste sollte am Freitag erstmals eine Qualifikation ausgetragen werden, in der sich nur die 30 Besten fürs Rennen am Samstag qualifizierten. Die zusätzliche Fernsehshow stiess unter den Spitzenfahrern auf geschlossene Ablehnung. Doch dank dem Versprechen des damaligen FIS-Generaldirektors Gian-Franco Kasper, nach einem Versuch in Wengen die neuen Reglemente allenfalls zu korrigieren, lenkten sie ein. Die US- Abfahrer aber starteten schon zum Donnerstagtraining nicht mehr, wurden sie doch als Folge des Golfkrieges in die Heimat zurückbeordert und sassen schon am frühen Nachmittag im Flugzeug in die USA.
Am Freitag, dem 18. Januar, dann die Qualifikation, in der sich die Besten mühelos durchsetzen; nur Patrick Ortlieb stürzt. Es folgt mit der Nummer 21 der als grosses Talent gepriesene Gernot Reinstadler. Der noch nicht 21-jährige Österreicher verkantet im Ziel-S, fliegt ungebremst in die Fangnetze und bleibt mit einer Skispitze hängen, wodurch es ihm den Unterleib formlich aufreisst; er hinterlässt bis zum Stillstand eine breite Blutspur. Die Ärzte nehmen den Kampf um sein Leben auf; er ist hoffnungslos, auch wenn am frühen Abend kurzzeitig bekanntgegeben wird, es bestehe keine Lebensgefahr mehr. Die Zeitungsartikel der Erleichterung müssen kurz darauf umgeschrieben werden; bis 20 Uhr, wird später berichtet, habe man 35 Liter verlorenen Blutes durch Transfusionen zu ersetzen versucht.
Kurz nach Mitternacht kam aus dem Spital in Interlaken die Nachricht, Reinstadler sei verstorben. Knapp vier Stunden später beschloss das OK, beide Rennen, die Abfahrt und den Slalom, abzusagen. Trotz allem kein leicht zu fällender Entscheid, der aber einhellige Akzeptanz fand. Nie gab es Schuldzuweisungen, nie Vorwürfe, auch nicht von den Angehörigen des Verunglückten. Seit 1992 erinnert eine Gedenktafel am Zielhaus in Innerwengen an den tragischen Unfall. Von Qualifikationsabfahrten war nie mehr die Rede.
Die verrückten Siebziger
Das Duell Klammer - Russi, ein Zuschauerboom und viele Absagen
Die siebziger Jahre waren das verrückte Jahrzehnt des Skirennsports. Der österreichische Senior Karl Schranz wurde 1972 als Professional vom IOK von den Olympischen Spielen in Sapporo ausgeschlossen, im Bereich des Materials löste eine revolutionäre Erfindung die andere ab, die Schweiz entdeckte 1970 dank Bernhard Russis WM-Sieg von Gröden die Abfahrt als «Königsdisziplin». Sicherheit bedeutete damals, dass der verrückte Südtiroler Erwin Stricker für den Fall der Fälle seine Blutgruppe (Rhesusfaktor inklusive) auf den Helm pinselte. Und die neue Generation der jungen kanadischen Abfahrer hatte die Verrücktheit sogar im Namen: «Crazy Canucks» hiessen die Read, Podborski, Irwin. Die Euphorie des Schweizer Skipublikums war derart gross, dass so viele Zuschauer ans Lauberhorn pilgerten, wie überhaupt in die autofreie Station transportiert werden konnten: mit der Wengernalp-Bahn, via Grindelwald, zu Fuss hinauf von Lauterbrunnen, mit dem Helikopter. Nur ja nichts verpassen!
Die Lust auf «Sapporo-Verhältnisse»
Dass nur jedes zweite Mal auf der mehr als vier Kilometer langen Originalstrecke gefahren werden konnte, tat der Begeisterung kaum Abbruch, «Sapporo-Verhältnisse» wollten die Leute erleben, Erfolge, wie sie die Schweizer an den Olympischen Spielen 1972 mit den Rängen 1 (Russi), 2 (Collombin), 4 (Sprecher) und 6 (Tresch) erreicht hatten. Die Realität präsentierte sich bescheidener, Russi gewann nur einmal, 1973, als das Rennen auf die Frauen-Piste von Grindelwald verlegt werden musste; einmal siegte auch Collombin, 1974, als der Start an den Hundschopf hinunter verschoben werden musste. Und als 1979 Toni Bürgler das Lauberhorn und damit die erste Weltcup-Abfahrt seiner Karriere gewann, fand dieses Rennen in Crans-Montana statt. Erst 1980, 30 Jahre nach Fred Rubi, gewann mit Peter Müller wieder ein Schweizer auf dem Originalkurs. - Bernhard Russi vermochte auf der Classique im eigenen Land nie zu gewinnen - ebenso wenig wie in Kitzbühel. Dennoch prägte der Olympiasieger und Weltmeister die Lauberhorn-Rennen der siebziger Jahre - die Karriere Collombins ging ja nach zwei schweren Stürzen in Val-d'Isère vorzeitig zu Ende. Präziser war es der Zweikampf Russis gegen Franz Klammer, der am Samstagmittag jeweils die Strassen leer fegte. Dabei war es eigentlich ein einseitiges Duell. Klammer gewann vom 22. Dezember 1973 bis zum Januar 1977 nicht weniger als 20 Weltcup-Abfahrten, der fünf Jahre ältere Russi blieb während 1457 Tagen, vom 3. Februar 1973 bis zum 29. Januar 1977, ohne Weltcup-Sieg. Klammer siegte in Wengen dreimal in Folge, 1975 bis 1977. Am eindrücklichsten fiel sein erster Erfolg aus, als er sich gegenüber dem Training um mehr als 8 Sekunden steigerte und den Streckenrekord von Schranz um 25 Sekunden verbesserte; die 3,54 Sekunden vor dem Italiener Plank werden in den Weltcup-Statistiken noch immer als Rekordvorsprung in einer Männer-Abfahrt geführt.
Jurassic Park oder Klassiker?
Im Jahr darauf wurde eine Doppelabfahrt ausgetragen, und Russi war sich aufgrund der Trainingsleistungen seines ersten Sieges gewiss. Doch am Freitag wurde er lediglich Vierter und konnte tags darauf wegen eines eingeklemmten Ischiasnervs gar nicht fahren. Dafür machte er eine bahnbrechende Entdeckung: Er entlarvte die langsame Passage des «Brügglis» als «heimliche Schlüsselstelle», die erst seit 1997 auch Bestandteil der TV-Direktübertragung ist. In jenem Jahr lieferte der Franzose Luc Alphand die Schlagzeilen, als er diese langsamen Passagen als «völlig veraltet» bezeichnete und die Lauberhorn-Abfahrt ins Museum zu verbannen versuchte: «Das ist wie Jurassic Park - ein Dinosaurier unter den Abfahrtsstrecken.» Diese Diskussion ist inzwischen wieder verebbt, auch die Forderungen nach einer Überführung über die Wengernalp-Bahn sind verstummt. Der Klassiker aller Klassiker hat seinen unangefochtenen Platz im Weltcup vorerst auf sicher.
1991 - ein bitterer Jahrgang
1991 ist der bitterste Jahrgang in der Geschichte der Lauberhorn-Rennen. Zuerst bescherte der Golfkrieg in Kuwait in der Mittwochnacht via CNN ein ganz neues, verwirrendes Live-Gefühl am Fernsehen, dann führte ein tödlicher Unfall zur Absage der Rennen. Bei strahlendem Wetter, aber auf einer welligen, pickelharten Piste sollte am Freitag erstmals eine Qualifikation ausgetragen werden, in der sich nur die 30 Besten fürs Rennen am Samstag qualifizierten. Die zusätzliche Fernsehshow stiess unter den Spitzenfahrern auf geschlossene Ablehnung. Doch dank dem Versprechen des damaligen FIS-Generaldirektors Gian-Franco Kasper, nach einem Versuch in Wengen die neuen Reglemente allenfalls zu korrigieren, lenkten sie ein. Die US- Abfahrer aber starteten schon zum Donnerstagtraining nicht mehr, wurden sie doch als Folge des Golfkrieges in die Heimat zurückbeordert und sassen schon am frühen Nachmittag im Flugzeug in die USA.
Am Freitag, dem 18. Januar, dann die Qualifikation, in der sich die Besten mühelos durchsetzen; nur Patrick Ortlieb stürzt. Es folgt mit der Nummer 21 der als grosses Talent gepriesene Gernot Reinstadler. Der noch nicht 21-jährige Österreicher verkantet im Ziel-S, fliegt ungebremst in die Fangnetze und bleibt mit einer Skispitze hängen, wodurch es ihm den Unterleib formlich aufreisst; er hinterlässt bis zum Stillstand eine breite Blutspur. Die Ärzte nehmen den Kampf um sein Leben auf; er ist hoffnungslos, auch wenn am frühen Abend kurzzeitig bekanntgegeben wird, es bestehe keine Lebensgefahr mehr. Die Zeitungsartikel der Erleichterung müssen kurz darauf umgeschrieben werden; bis 20 Uhr, wird später berichtet, habe man 35 Liter verlorenen Blutes durch Transfusionen zu ersetzen versucht.
Kurz nach Mitternacht kam aus dem Spital in Interlaken die Nachricht, Reinstadler sei verstorben. Knapp vier Stunden später beschloss das OK, beide Rennen, die Abfahrt und den Slalom, abzusagen. Trotz allem kein leicht zu fällender Entscheid, der aber einhellige Akzeptanz fand. Nie gab es Schuldzuweisungen, nie Vorwürfe, auch nicht von den Angehörigen des Verunglückten. Seit 1992 erinnert eine Gedenktafel am Zielhaus in Innerwengen an den tragischen Unfall. Von Qualifikationsabfahrten war nie mehr die Rede.
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