Aficionado hat geschrieben: ↑28.09.2022, 17:37
Bzgl. Gentherapie findest du schon Infos im Politik, Wirtschaft, Wissenschaft Thread.
Therapien auf die der Patient nicht anspricht, sollten auch nicht bezahlt werden mûssen. Wird gemäss Artikel.im benannten Thread ja bereits umgesetzt.
Aus dieser Antwort schliesse ich, dass ich mich meinen Standpunkt zu wenig vermitteln konnte. Sorry, dass ich jetzt sehr weit aushole.
Ich stelle ja nicht die Wirksamkeit einer Gentherapie in Frage. Ich stelle nur fest, dass wir immer mehr und immer teurere Versorgung wollen, uns aber gleichzeitig über die steigenden Kosten beklagen und die Gefahr sehen, dass wir sie bei anhaltender Tendenz bald nicht mehr stemmen können.
Kein einzelner Aspekt unserer Gesundheitsversorgung trägt allein die Verantwortung für die stetig steigenden Kosten. Es liegt vielmehr im Zusammenspiel und den Verflechtungen dieser einzelnen Aspekte, welche so eine Dynamik entwickeln und deren Ausmass.
So lässt sich für fast alles beim richtig eingesetzten Mass ein Nutzen definieren. Und in fast allen Fällen skalieren Kosten und Nutzen nicht in gleichem Masse. Es kommt fast immer irgendwo ein Punkt, ab dem zusätzlicher Einsatz von Prävention, Vorsorge, Nachkontrollen, Medikamente, Operationen, etc. zwar erwartungsgemäss mehr zusätzliche Kosten generiert, aber der zusätzlich Nutzen wird immer geringer und kann teilweise sogar in Schaden kippen. Weder «mehr» noch «weniger» sind allgemeingültige Lösungen, sondern gelten nur in den spezifischen Fällen, wo und so lange es «zu wenig» oder «zu viel» ist.
Daher halte ich es für sinnvoller, einige dieser Mechaniken genauer anzuschauen und gegebenenfalls zu ändern. Es gibt medizinisch sinnvolle Bereiche, in welche kaum oder nur sehr wenig investiert wird.
Genau so offensichtlich, wie man auch zoonosebedingte Pandemien vorhergesehen hat, werden uns in Zukunft auch multiresistente Keime (aka Krankenhauskeime) ein ernsthaftes Problem bereiten.
Ursache ist der unverhältnismässige Einsatz der immer gleichen Breitbandantibiotika, man erhöht also beiläufig den Evolutionsdruck auf die Keime, sich gegen unser Allerheilsmittel zu behaupten. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass wir so multiresistente Keime «züchten».
Man könnte diesem Problem mit Phagen (Viren, die Bakterien befallen) oder neuen Antibiotika begegnen, der Markt verfolgt aber diese Lösungen nicht.
Neue Antibiotika und deren Erforschung (also die Suche, Analyse und Testung) wäre relativ günstig. Nur lässt sich ein «gefundener» Wirkstoff aber nicht patentieren und grosse klinische Zulassungsstudien sind extrem teuer. Solche neuen Antibiotika, die gegen bisher resistenten Keime wirksam wären, liessen sich auch nicht in grosser Menge verkaufen, weil man deren Einsatz bewusst als Last-Resort nutzte, statt Gefahr laufen zu wollen, dass sich bei massenhaftem Einsatz schnell neue Resistenzen bilden. Was ja ein absolut sinnvolles Vorgehen darstellt. So wird aber dieser Bereich aus wirtschaftlicher Sicht ein sicheres Minusgeschäft, auch wenn es gesundheitlich mehr Leuten zu Gute kommen würde, als eine personalisierte Gentherapie. Aus gesundheitlicher Perspektive offensichtlich sinnvollen Lösungen fehlt es an Umsetzungswille, weil im Gegensatz zu einer zu einer Gentherapie keine Gewinne in Aussicht stehen. Irrsinn, oder?
Ich will nicht die Gentherapie schlecht reden. Ich nehme sie lediglich als Beispiel dafür, dass der Markt vornehmlich das entwickelt, womit sich Gewinne generieren lassen. Zum Beispiel über Patente für Verfahren oder Moleküle und deren Modifikationen. Und wenn es immer teurer und aufwändiger wird, Gewinne zu erzielen, so steigen auch die Preise. Wir bezahlen dies ja, weil es nachweislich wirkt. Ausser Acht gelassen wird aber, was ebenfalls nachweislich wirken würde, günstiger wäre, aber auf dem Markt nicht verfügbar ist.
Daher meine systemische Betrachtung.
Ich halte es für den grundsätzlich falschen Ansatz, das Gesundheitswesen von einer gewinnorientierten Mechanik regeln zu lassen. Der Markt strebt nach Gewinnmaximierung und kann diese entweder mit Verteuerung der Angebote oder grösserem Versorgungsumfang erreichen. Das Gesundheitswesen verdient nicht an der Gesundheit per se, sondern am Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen zur Erhaltung (Vorsorge) oder Wiederherstellung (Heilung) der Gesundheit. An einem Gesunden verdient es weniger.
Nur die Krankenkassen verdienen an einem Gesunden. Theoretisch eine sinnvolle Ausrichtung um regulierendes Element innerhalb eines Systems zu sein. Da es sich hierbei aber auch um gewinnorientierte Privatunternehmen handelt, kann ich das Misstrauen und die Vorbehalte aber nachvollziehen. Denn die Kassen verdienen in erster Linie, an weniger erbrachter Leistung. Im idealen Szenario wird weniger in Anspruch genommen, weil die Kunden gesund sind, im Horrorszenario würden Leistung verwehrt, obwohl die Kunden krank sind. Aus dem verständlichen Misstrauen heraus, schränken wir also den Handlungsspielraum der Krankenkassen ein.
Aus diesem Zusammenspiel scheint es mir nur offensichtlich, dass die Kosten laufend steigen. Weil die einzige Instanz, welche explizit an der Gesundheit verdienen würde, der Handlungsspielraum durch Vertragspflicht und obligatorischen Leistungskatalog eingeschränkt wird, da wir wissen, dass sie auch durch Leistungsverweigerung im Krankheitsfall verdienen würden. Während gleichzeitig
alle in diesem System beteiligten Instanzen gewinnorientiert sind.
Dies klingt vielleicht überspitzter und zynischer, als ich es meine. Ich bin überzeugt, dass im Gesundheitswesen in allen Bereichen (Forschung, Entwicklung, Behandlung, etc.), auch sehr viel Idealismus ohne Wachstumsbestrebungen existiert. Nichtsdestotrotz müssen sie in diesem gewinnorientierten Markt bestehen und dagegen ankämpfen, nicht von den weniger idealistischen, ständig wachsenden Playern verdrängt oder geschluckt zu werden.
Ich bin also auch deshalb für eine staatliche Kasse, weil diese ebenfalls die Gesundheit anstreben würde, ich aber dem Staat mehr vertraue, als einem Privatunternehmen, sich nicht auf Kosten meiner Gesundheit zu bereichern und bei einer staatlichen Kasse daher auch mehr Befugnisse tolerieren würde. Ausserdem hätte der Staat so mehr Mittel zur Verfügung, in Bereiche zu investieren, die medizinisch sinnvoll sind, sich aber nicht rechnen. Weil der Staat kein Gewinn erwirtschaften muss, kann er in die Gesundheitsbereiche investieren, die sich für die Pharma nicht rechnen.
Gerade den Gesundheitsbereich sollten wir doch nicht von einer gewinnorientierten Mechanik regeln lassen. Die Ziele einer gesünderen Gesellschaft oder einer günstigeren Gesundheit stehen doch diametral zur Bestrebung Gewinne zu erwirtschaften? Ich finde es fahrlässig zu glauben, dass der Markt aus einem Akt der Selbstlosigkeit etwas entwickelte, dass ihm keine Gewinne, sondern nur hohe Kosten verspricht, aber der allgemeinen Gesundheit dienen würde. Und statt auf einen idealistischen Gönner zu hoffen, könnte die Gesellschaft solche Entwicklungen selber in die Hand nehmen.
Phagen (Viren, die Bakterien befallen) wären ein anderer Ansatz um multiresistenten Keimen zu begegnen. Das ist eine Therapieform, welche zwar wissenschaftlich belegt, aber aus mangelnder Gewinnmöglichkeit in der westlichen Welt vernachlässigt wurden (vereinzelt hielt sich das praktische Wissen in ehemaligen Ostblockstaaten). Auch Phagen werden gefunden und sind nicht patentierbar, warum also teure Studien für jede einzelne Phage finanzieren (nur wenige haben Breitbandwirkung, was sie sehr wirkspezifisch und darum so genial macht), wenn sich mit ihnen kein oder kaum Gewinn erwirtschaften lässt. Sie liessen sich relativ einfach finden und kultivieren. Die aktuelle Gesetzeslage macht aber die Zulassung sehr teuer und ermöglicht fast keine Gewinne.
Die Uni Basel hat beispielsweise eine extrem wertvolle Phagen-Sammlung angelegt (mit der Hilfe von Maturanden!) und ich finde es gut, dass die Uni (also eine staatliche Institution) in diesem Bereich forscht. Aber es wäre schön, wenn dies am Ende auch in Anwendungen mündet, obwohl sich daraus kein oder nur sehr wenig Gewinn erwirtschaften liesse. Respektive es wäre auch schön, wenn der Ertrag solcher staatlichen Investitionen in Grundlagenforschung auch allen zu Gute kommen würde, falls die Gesetzeslage sich änderte oder ein Weg gefunden würde, damit Gewinne zu erzielen (normalerweise würde ja irgendein grosser Player ein aus der Uni abgekoppeltes Startup einfach aufkaufen). Daran zweifle ich aber, weil es in unserem bisherigen System noch an einer geeigneten Instanz oder geeigneten Institutionen fehlt, in welcher der Staat auch als Gesundheitsdienstleister in Erscheinung treten könnte und den Markt da ergänzen könnte, wo er aus meiner Sicht versagt. Aber eben. Sobald man solche Nischenbereiche, in denen der Markt versagt zu einer Staatsaufgabe erklären würde, kommt gleich wieder der Vorwurf, dass der Staat die freie Wirtschaft konkurrieren würde oder die Angst vor dem Kommunismus zum Vorschein. Dabei sind weder Staat noch der freie Markt perfekt und es wäre an der Zeit, das Zusammenspiel dieser beiden zu optimieren, weil sie sich sehr gut ergänzen würden.
Aficionado hat geschrieben: ↑28.09.2022, 17:37 Ein weiterer wichtiger Punkt ist halt auch die fehlende Transparenz bei der Leistungsabrechnung.
Malinalco hat diesen Punkt ja schon angesprochen.
Ich sehe auf dem Rückforderungsbeleg nur Nummern. Ich kann da nicht einwandfrei nachvollziehen, was der Arzt alles gemacht hat. Sind wirklich alle Lab-Tests notwendig? Ist eine Ultraschall-Untersuchung wirklich schon nach zwei Monaten wieder notwendig? Muss das Blut wirklich auf alle denkbaren Krankheiten untersucht werden und das jährlich? Auf der anderen Seite ist Prävention eben auch wichtig und kann auch Kosten mindern.
Das Hausarzmodell kann auch hóhere.Kosten generieren. Wenn ich ein dermatologisches Problem habe, weiss ich mit 95% Sicherheit, dass dieser mich zu einem Spezialisten schicken wird für weitere Abklärungen (Biopsie,...).
Alles sehr heikel. Niemand möchte doch die Verantwortung übernehmen, sollte sich eine Behandlung als unzureichend erweisen.
Dem allem stimme ich zu und streife diese Themen auch im langen Teil.