Die Weltwoche 25/2005
Hin und weg u2013 ruck, zuck, zack, zack
Von Markus Schär und Markus Somm
Dänemark und Norwegen werden als sanft und hochsympathisch empfunden. Trotzdem setzen diese Länder die härteste Asylpolitik Europas durch u2013 weit schärfer und erfolgreicher als die der Schweiz. Erkundungen im Grenzgebiet zur moralischen Tiefebene.
Wie ungewöhnlich, wie menschenfeindlich ist Blochers Asylpolitik? Als der Ständerat im Frühling auf Vorschlag des Justizministers der SVP das Asylgesetz verschärfte, sprach die Schweizerische Flüchtlingshilfe von einer «Bruchlandung» der Grundwerte und Grundrechte der Schweiz. «Es ist eine Frage der Zeit», warnte man mit finsterer Miene, «bis sich die Folgen dieser Politik in anderen Gesellschaftsbereichen auswirken werden.» In diesem Sinn demonstrierten denn auch Tausende besorgter Bürger vergangenes Wochenende anlässlich des Weltflüchtlingstages in Bern: «Wir sind die Schweiz.» Und: «Schluss mit der Blocher-Politik!» Davon wenig beeindruckt, dürfte der Nationalrat im Herbst dem Ständerat weitgehend folgen. Wenn Blochers Kritikern zu glauben ist, stellt sich die Schweiz damit ins humanitäre Abseits. Ein Sonderfall im Schlechten. Trifft das zu?
Erna Solbergs Büro in der Innenstadt von Oslo ist vollständig in Holz gehalten. Nicht protzig, aber auch nicht Ikea-bescheiden, sondern skandinavisch hell und gediegen. Wie es sich für das geschlechteregalitärste Land Europas gehört, hat eine selbstsichere Pressechefin den Besucher aus der Schweiz zur norwegischen Ministerin für Lokalregierung und regionale Entwicklung geführt. Obwohl es der Name ihres Ministeriums nicht verrät, ist Erna Solberg auch für die Asyl- und Einwanderungspolitik ihres Landes zuständig. Gleichzeitig führt sie die konservative Partei, eine Art FDP Norwegens. Verheiratet, Mutter von zwei kleinen Kindern und Mitte vierzig, gilt sie als eine der mächtigsten Politikerinnen Norwegens u2013 irgendwann wird sie Ministerpräsidentin.
Auf den ersten Blick wirkt Solberg wie eine tüchtige Beizerin, die gerne isst und sich bei jedem nach seinem Befinden erkundigt. Mütterlich u2013 aber energisch. Ähnlich führt sie ihre Asylpolitik. Kein Land in Westeuropa hat im vergangenen Jahr die Zahl der neuen Asylbewerber stärker reduziert als Norwegen. Von rund 16000 Anträgen im Vorjahr fiel die Zahl um 50 Prozent auf 8000. Daneben wirkt Christoph Blochers Erfolgsmeldung einer Abnahme um 33 Prozent kleinlaut.
Das Rezept heisst: Tempo
Kein Land hat in rascherer Folge schärfere Gesetze erlassen: «Wir haben den Markt der Schlepperindustrie zerstört», sagt Solberg, «indem wir sicherstellten, dass die Leute, die unter falschen Versprechungen nach Norwegen gelockt worden waren, blitzschnell zurückkehren mussten. Und wir sorgten dafür, dass man in ihrer Heimat im Fernsehen davon erfuhr, wie ungemütlich es inzwischen im angeblich schönen Norwegen geworden ist.» Solberg erzählt das nicht mit der grimmigen Entschlossenheit des Technokraten, sondern geradezu begeistert u2013 wie eine Unternehmerin, die ein neues Produkt erfolgreich auf den Markt gebracht hat.
Tempo ist ihr Rezept: Asylbewerber, die aus Ländern stammen, welche die norwegischen Behörden für sicher halten, wie etwa Russland oder Serbien, müssen sich neuerdings einem Crash-Verfahren unterziehen. Innert 48 Stunden wird ihr Antrag behandelt und meistens abgeschmettert. Einen eigenen Anwalt können sie nicht mehr beiziehen, die Behörden stellen juristische Hilfe, wenn einer gegen diesen raschen Bescheid rekurrieren will. 200 solche Fälle sind seither bewältigt worden, und die Wirkung in Ländern wie Russland ist nachhaltig: 75 Prozent weniger Asylbewerber sind aus dieser Region nach Norwegen gereist. Solberg hat ihr Ziel erreicht.
Ebenso rigoros geht sie gegen Leute vor, deren Asylgesuch abgelehnt worden ist. 2004 erhöhte sie die Zahl der Ausschaffungen, gleichzeitig zwang sie 600 Abgewiesene, das Asylbewerberheim zu verlassen u2013 Familien waren von dieser Massnahme ausgenommen. Neu erhalten Abgewiesene keinerlei Unterstützung mehr, kein Fürsorgegeld, keine Nothilfe, nichts. «Früher war es nett, drei Monate im Asylbewerberheim herumzusitzen. Das sprach sich herum.»
Dass Solberg auf die rasche Ausweisung drängt, hat mit den norwegischen Gesetzen zu tun. Aus einer Zeit, als das ferne Norwegen arm, abgelegen und kalt erschien, stammt die Regel, wonach ein Flüchtling nach 15 Monaten automatisch eine Aufenthaltsbewilligung erhält u2013 egal, ob er legal oder illegal eingereist ist. «Man brauchte bloss hier zu sitzen.» Um dieses Gesetz wussten die Norweger kaum, Solberg erst klärte sie darüber auf. Doch sie schaffte es nicht ab, sondern legte es etwas enger aus. Heute gilt diese Regel nur noch, wenn sich der Asylbewerber «kooperativ» zeigt, sprich: seine wahre Identität offen legt. Sind die norwegischen Behörden erst im Besitz gültiger Ausweise, fällt es ihnen leicht, das Verfahren im Nu voranzutreiben. 15 Monate muss niemand mehr warten, bis er einen Bescheid erhält.
Reich, aber kleinlich
Selbstverständlich hat Solberg nicht nur Freunde. Besonders die Links-Sozialisten, eine Partei, die in vielem den Grünen gleicht, kritisieren sie hart. Heikki Holmas, ihr Sprecher für Einwanderungsfragen, sieht aus, wie ein Grüner aussehen muss: In Turnschuhen und Pullover empfängt er den Journalisten im Parlament, sein Haar scheint fast sichtbar zu wachsen. Rasch strebt er der Cafeteria zu, während er mit Leidenschaft über das multikulturelle Norwegen redet, und lädt zu einem schlechten Kaffee ein. Ein ausnehmend sympathischer Mensch. «Die Regierung wollte die Abgewiesenen buchstäblich auf der Strasse verhungern lassen», erzählt er. Hilfswerke und Links-Sozialisten verbündeten sich mit den überforderten Gemeinden und protestierten so intensiv, dass Solberg sich eines Besseren besinnen dürfte und den Abgewiesenen künftig wohl minimale Nothilfe gewähren wird.
Doch den Links-Sozialisten geht das ohnehin alles in die falsche Richtung. Im Schengen-Raum, dem Norwegen angehört, präge jenes Land die Asylpolitik aller anderen, das am restriktivsten sei, sagt Holmas. Denn bei offenen Grenzen bewegen sich die Asylbewerber dorthin, wo sie sich eine Aufnahme versprechen. Zum Leidwesen von Holmas ist Norwegen derzeit vermutlich das härteste Pflaster für Flüchtlinge u2013 längst ein Vorbild für andere Länder.
Dass Norwegen diese Stellung erreicht hat, überrascht auf den ersten Blick. Jahrzehntelang von den Sozialdemokraten souverän und mit absoluter Mehrheit beherrscht, geniesst es weltweit einen ausgezeichneten Ruf als Friedensstifter und Entwicklungshelfer; bei der Uno und anderen internationalen Organisationen sind die Norweger gern gesehene Funktionäre. Das riesige Land mit der geringen Bevölkerung von 4,5 Millionen, das dank schier unbegrenzten Ölreserven eines der reichsten Länder der Welt geworden ist, stellt man sich nicht so kleinlich vor. Was sind 18000 neue Anträge von Asylbewerbern, wie sie im Rekordjahr 2002 gezählt wurden, bei einem Ausländeranteil von bloss 4,1 Prozent? Warum haben sich die gutmütigen Norweger dermassen aufgeregt, dass sie nun zu etwa 70 Prozent eine Asylpolitik gutheissen, die abweisender ist als überall sonst?
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