Mein Gott, dieser Faden entwickelt sich ja rasend schnell …
Kann wohl nicht mehr auf alles eingehen, auf das ich gerne eingehen würde. Aber versuche es trotzdem mal.
auslandbasler hat geschrieben: und dass du einer der wenigen bist, mit dem man vernünftig diskutieren kann.
Danke. Ich finde dich auch einen spannenden Diskussionspartner, denn du scheinst zwar leicht anderer Meinung zu sein, bist aber trotzdem bereit zu diskutieren und nicht bloss eine Meinung durch Phrasen zu zementieren, wie es hier drinnen leider zu oft der Fall ist.
In meiner Wahrnehmung hat die Kurve riesige Fortschritte gemacht, macht sich Gedanken über mögliche Konsequenzen, handelt (im Grossen und Ganzen dementsprechend), ist also reifer geworden.
Wie sieht es nun in der Öffentlichen Wahrnehmung aus? Wenn nichts passiert, gibt's keine Meldung oder die Sicherheitsverantwortlichen heimsen die Lorbeeren für sich ein. Folglich sieht die Bevölkerung nichts vom Wirken der Selbstregulierung. Löbliche Ausnahme ist der Marsch in Bern, hier haben die Medien reagiert, weil die Polizei Chaos vorausgesagt hat und nichts passiert ist. Genau diese öffentliche Wahrnehmung braucht's, nämlich dass die Sicherheitsverantwortlichen über's Ziel hinausschiessen wollen.
Warum die Öffentliche Wahrnehmung so wichtig ist? Weil wir in einer Demokratie leben und die Gesetze beim Volk auf Akzeptanz stossen müssen, um durchzukommen. Alles andere ist politischer Selbstmord.
Dies ist ein Grund, wieso ich es für wichtig halte, dass eine klare Distanzierung von Fackelwerfern und Randalierern stattfindet. Mit einer Verharmlosung (resp. Relativierung) erreicht man nichts, diese werden als billige Entschuldigung wahrgenommen. Die Dinge zu relativieren ist in meinen Augen besser die Aufgabe von Verbänden und Clubverantwortlichen (mit Heusler sind wir da top besetzt). Denn aus ihrem Munde klingt es für die Öffentlichkeit glaubwürdiger, als wenn diese Relativierung aus den Kurven kommt. In meinen Augen ist es verschwendete Energie der Szene, die Bevölkerung darüber aufklären zu wollen, wie harmlos der eigentliche «Kurvenalltag» ist, solange eben andere Bilder (Randalierer und Fackelwerfer) kursieren. Es wäre sinnvoller, diese Energie darauf zu verwenden, dass diese Bilder nicht mehr zu sehen sind.
Solange aber Fehlbare Unterschlupf in der Kurve finden, wird die Selbstregulierung nicht wirklich wahrgenommen. Stattdessen klingt der Ruf danach wie der Ruf nach einem rechtsfreien Raum, wo Straftaten ungeahndet ausgeübt werden können. Einfach, weil es keine sichtbaren Konsequenzen für die Straftäter gibt. Und die Sicherheitsverantwortlichen sehen kein Mittel, diese Straftaten zu verhindern, resp. zu ahnden, da die Kurven die Fehlbaren ja decken. Der Wunsch, die aktuelle Fankultur darum zu verbieten ist aus dieser Sicht verständlich, sollte aber nicht in unserem Interesse sein.
Und hier ist mein nächster Punkt. Solange die Straftäter wissen, dass sie in den Kurven Unterschlupf finden und dadurch meistens ungeschoren davonkommen, werden sie sich einfacher zu solchen Taten hinreissen lassen. Ich mag mal zu bezweifeln, dass bei allen die Fankultur an oberster Stelle steht, sonst kann ich mir nicht erklären, wie die einen der Szene und dem Club mutwillig durch Randale schaden. Den anderen (Derby-Bsp.) mag Fankultur zwar wichtig sein, aber viel wichtiger ist ihnen das Zugehörigkeitsgefühl zu einem starken Fanclub (don't mess with us) und die damit verbundenen Dinge wie Fahnenehre. Einen Spielabbruch in Kauf nehmen, nur um den gegnerischen Fans für die Provokation im Stadion auf's Maul zu geben ist zu viel. Über den Pyrowurf müssen wir hoffentlich gar nicht diskutieren. Klar, solche Subjekte sind ebenfalls Bestandteil der Kurven und gehören auch irgendwie dazu, da die Kurven lediglich ein Abbild der Gesellschaft darstellen. Aber das Ziel müsste doch sein, dass eben diese Subjekte ihre Tätigkeiten nicht im Stadion und damit im direkten Umfeld der Kurven ausüben können und auch nicht in den Kurven untertauchen können, wenn's mal brenzlig wird. Es ist doch deutlich sichtbar, wie solche Taten dem Bild der Fankultur schadet … und zwar massiv. Hier ist der Punkt, den ich schon die ganze Zeit anspreche. Es braucht Konsequenzen für die Täter. Ob durch die Justiz, durch einen Verstoss der Kurven oder sonst irgendwie. Erst diese Konsequenzen führen langfristig zu einem Umdenken. Werfe ich nun wirklich, wenn ich weiss, dass ich mich wohl für ein Jahr nicht mehr in der Kurve darf blicken lassen? Oder werfe ich, wenn ich weiss, dass ich mich danach nicht mehr in der Kurve verstecken kann? Werfe ich, wenn mich die Kurve auch nicht mehr vor Übergriffen der gegnerischen Fans schützt? (So nach dem Motto: Der gegnerische Fan ist zwar Abschaum, wer aber die Fankultur, das Spiel, den Club, etc. gefährdet, ist noch tiefer anzusiedeln)
Darum ist es für mich so wichtig, dass ein einheitliches Credo gefasst wird, was tolerierbar ist und was nicht. Und dass dementsprechend gehandelt wird. Das hat nichts mit Übernehmen von Polizeifunktionen oder so zu tun, sondern ist der Notwendige Schritt, dem Problem Herr zu werden. Und dies ist ein Anliegen, dass eigentlich alle teilen sollten. Dass unser Fackelwerfer und seine Gruppierung aus der Kurve ausgeschlossen wurden, wusste ich nicht. Dies ist gut so und hat sicher dazu beigetragen, dass wir verhältnismässig wenig Probleme haben. Aber steckt doch solche Aktionen den Medien (nicht jetzt, sondern wenn es passiert), nicht um sich vor denen zu profilieren, sondern weil im Moment gute PR wichtig und rar ist und weil die öffentliche Meinung, wie ich beschrieben habe, wichtig ist. Und weil es für Kiddies abschreckend wirkt. DAS ist die Form von Distanzierung mit entsprechenden Taten (damit es nicht beim Lippenbekenntnis bleibt). Solche Aktionen bringen sehr wohl etwas, weil es eben klipp und klar zeigt, dass so ein Verhalten nicht geduldet wird und Sanktionen zur Folge hat. Man gehört dann nämlich nicht mehr dazu. Das ist nicht lächerlich, sondern trifft die Jungs genau dort, wo es schmerzt: Zugehörigkeit.
Der positive Nebeneffekt ist, dass durch solche Aktionen die öffentliche Wahrnehmung geändert werden kann. Dass Fahnen nicht in erster Linie Sichtschutz für Vermummer und ein Vorwand um einen Schlagstab im Stadion zu haben sind, sondern der Ausdruck von Fans, welche sich ebenfalls ab solchen Taten nerven, für die Unterstützung des eigenen Clubs. Wenn die Kurve ihr Möglichstes unternimmt, solche Taten nicht nur zu verhindern, sondern deren Sanktionierung befürwortet (sollten diese doch einmal vorkommen), solange sie sich gegen die Täter und nicht gegen die Kurve richtet; ja sogar mithilft oder selber sanktioniert, weil es in ihrem Interesse ist … dann kann man von erfolgreicher Selbstregulierung reden. Denn dies wäre ein Zeichen, dass man sich der Verantwortung bewusst ist, welche mit den erwünschten Freiheiten einhergeht. Die Wirkung, welche solche Zeichen in der Öffentlichkeit zeigen könnten, würden im besten Fall die Forderungen der Überregulierer in's Lächerliche ziehen. Realistisch gesehen ist aber mindestens davon auszugehen, in den Diskussionen wieder mit den eigenen Anliegen ernster genommen zu werden.
Noch eine kleine Randnotiz betreffend Vermummen. Im Idealfall müsste sich niemand mehr vermummen, da Fans nicht automatisch mit Hooligans und Randalierern in Verbindung gebracht würden. Solange aber normale Fans sich vermummen, finden vermummte Chaoten auch leichter Platz zwischen ihnen. Dies führt dazu, dass die Chaoten nicht gefasst werden können, dass sie es sich darum erlauben können, ihren Frust auszuleben, dass die Wahrnehmung Fans=Chaoten verstärkt wird. Das Prinzip ist in meinen Augen das gleiche, die Hemmschwelle für Dummheiten sinkt proportional zu den Aussichten, nicht dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Somit schadet das Schützen der Fehlbaren den Kurven selber, da es die Dummheiten (ohne Absicht) fördert.
Oder noch ein weiterer Versuch. Die Straftaten werden Sanktionen zur Folge haben, solange aber die Täter in der Anonymität einer Kurve verschwinden können, werden sie (explizit) davon verschont, also müssen die Sanktionen kolletiv erfolgen, damit trifft es die Kurven, resp. die Fans. Ja, die Sanktionen müssen folgen, denn ohne sie geriete die ganze Sache erst recht aus dem Ruder.