Böser, als die Kasachen erlauben
WIE EIN BRITISCHER KOMIKER WELTKARRIERE MACHT
MARCKREBS
Von Kasachstan gehasst, von Prominenten gefürchtet und von der Jugend geliebt: der brillante britische Satiriker Sacha Baron Cohen.
Mit seinen Sprüchen bei den MTVEurope Music Awards 2005 amüsierte er Millionen. Und ärgerte ein ganzes Volk. Borat Sagdiyev. Für die Moderation der MTV-Gala in Lissabon landete der fiktive kasachische Fernsehreporter mit einer schrottreif hergerichteten Flugzeugattrappe der Air Astana auf der Bühne - samt einäugigem Piloten mit Wodkaflasche in der Hand - und begrüsste die Zuschauer mit den Worten:«Mein 13-jähriger Sohn kommt zu Fuss, mit seinen zwei Frauen und drei Kindern. Wenn er die Reise überlebt, habe ich ihm versprochen, dass er mit der kolumbianischen Prostituierten Shakira schlafen darf.» Kreischen im Saal. Lachsalven vor den heimischen TV-Geräten. Entsetzen im Regierungsviertel Kasachstans.
Zumal dieser fiktive Borat im Laufe des Abends immer heftiger gegen das real existierende Land schiesst: «Ich komme aus Kasachstan - einem Land betrunkener Stalinisten», sagt er in gebrochenem Englisch. Und löst mit solchen Aussagen auch auf politischer Ebene Proteste aus. Das kasachische Aussenministerium spricht von einer «Mischung aus schlechtem Geschmack und schlechten Manieren».
bewusst rassistisch. Borat ist den Kasachen seit einem guten Jahr ein Dorn im Auge. Man überlegt sich rechtliche Schritte. Auf seiner eigenen Homepage stellte sich der fiktive TV-Reporter mit dem markanten Schnurrbart als alkoholabhängigen, rassistischen und sexistischen Stalinisten dar: «Kasachstan ist ebenso zivilisiert wie jedes andere Land in der Welt», liess Borat die WWWelt wissen. «Frauen dürfen nun im Inneren eines Busses reisen, Homosexuelle brauchen keine blauen Hüte mehr zu tragen, und das Mündigkeitsalter wurde auf acht Jahre heraufgesetzt.»
Wer bösen, scharfzüngigen Humor mag, findet das lustig. Wer aber - wie Kasachstan - um internationale Anerkennung kämpft, hat nichts zu lachen. Yerzhan Ashykbayev, Sprecher des Aussenministeriums, vermutet hinter Borats Auftritten Methode. Man schliesse nicht aus, dass Cohen in «irgendjemandes politischem Auftrag» handle, sagte er im Interview mit der Agentur Reuters.
Stellt sich also die Frage: Wer steckt hinter Borat?
Die Antwort: Sacha Baron Cohen, 34 Jahre alt, Brite im Pass, Jude im Glauben und Komiker von Beruf. Über sein Privatleben ist wenig bekannt, doch wer surft, der findet: Sein Vater Gerald, Eigentümer eines Herrenmodegeschäfts in Piccadilly (London), stammt aus Wales, die Mutter aus Israel. Als Jugendlicher war Sacha Baron Cohen aktives Mitglied der jüdischen Organisation Habonim Dror und lebte ein Jahr lang in einem Kibbuz. Danach studierte er in Cambridge Geschichte und untersuchte die Schwierigkeiten, mit denen ethnische Minderheiten in der Gesellschaft konfrontiert werden.
kluger kopf. Er schrieb eine Dissertation über die Koalition von Schwarzen und Juden in der Bürgerrechtsbewegung. Ein kluger Kopf, der mit seinen Provokationen zum Denken anregen will. Bereits während seines Studiums arbeitete Baron Cohen für britische TV-Stationen, sein Durchbruch gelang ihm schliesslich 1999, als er, damals 28-jährig, in der «Eleven Ou2019Clock Show» auf Channel 4 den Charakter Ali G. mimte:einen Vorstadt-Hip-Hopper, Möchtegernschwarzen und -gangstarappa mit weissen Tommy-Hilfiger-Unterhosen und Cannabis-Goldkettchen um den Hals.
Mit Ali G. brachte Baron Cohen frischen Wind in den leicht verstaubten britischen Humor: Seit den 90er Jahren, also nach Monty Python, Fawlty Towers, Blackadder oder Mr. Bean, brachte die Insel keinen komödiantischen Grossexport mehr hervor - bis vor fünf Jahren einerseits das Comedy-Trio «The League Of Gentlemen» mit seiner sarkastischen Horrorserie auftauchte - und Sacha Baron Cohen ab 2000 mit der «Ali G. Show» Politikern, Beamten und Prominenten auf die Füsse trat, einer Show, die in jüngerer Zeit auch im deutschsprachigen Raum (mit Untertiteln) ausgestrahlt wurde.
genial einfach. Cohens Vorgehensweise ist auf den ersten Blick genial einfach, auf den zweiten einfach genial. Er lädt Experten zu einer Gesprächsrunde ins Studio und konfrontiert sie mit kindlich-direkten Fragen. Oder aber er zieht hinaus, in die Oper, ins Parlament, ins Dekanat, nach Wales oder Irland, mit der vorgetäuschten Absicht, seinem Publikum eine fremde Kultur näher zu bringen. Zum Beispiel die Kunst. Die IRA. Oder die Weltraumforschung. Ein Beispiel gefällig? Ali G. trifft den Astronauten Buzz Aldrin, der mit Neil Armstrong 1969 auf dem Mond landete.
Ali G.: «Ich weiss, das ist eine heikle Frage, aber wie fühlt es sich an, nicht der erste Mann auf dem Mond gewesen zu sein? Waren Sie je eifersüchtig auf Louis Armstrong?»
Aldrin: «Sein Name ist Neil Armstrongu2026»
Ali G.: «Wie auch immer!»
Aldrin: «u2026und nein, ich war nie eifersüchtig, denn Neil war überaus kompetent.»
Ali G.: «Denken Sie, dass Menschen einmal auf der Sonne spazieren werden?
Aldrin: «Nein, die Sonne ist zu heiss dafür.»
Ali G.: «Und im Winter, wenn sie kalt ist?»
suggestiv subversiv. In die USA ging Baron Cohen mit Ali G. 2002, als die Figur in England zu berüchtigt geworden war, als Interview-Anfragen abgelehnt oder gerade angenommen wurden, weil man wusste, dass man auf die Schippe genommen würde. Leute, die seine Absichten kennen, interessieren Baron Cohen nicht. Er will seine Gesprächspartner mit unerwarteten, unerhörten, anzüglichen oder auch naiven Fragen konfrontieren. Er arbeitet subversiv und suggestiv. Und führt damit zugleich - im Sinne Monty Pythons - das Medium Fernsehen ad absurdum. Im Unterschied zu Cleese und Co. vermengt er seine Komik aber mit Realsatire, indem er seine Gegenüber nicht wissen lässt, dass sie gerade Teil einer Comedysendung geworden sind.
unwissend KOMISCH. Als Ali G. zu populär wurde, sah Baron Cohen die Zeit für Borat Sagdiyev gekommen. Vermehrt kommt der fiktive Fernsehmoderator (gemäss Eigenaussage der sechstberühmteste Mann von ganz Kasachstan) zum Einsatz und erklärt uns «seine» und die westliche Welt. Borat besucht unwissende Durchschnittsamerikaner und sorgt mit dem Vorwand, fürs kasachische Fernsehen eine Reportage zu drehen, für Unruhe, Irritation und politisch inkorrekte Komik. Er taucht bei Baseballspielen auf, kündigt die kasachische Nationalhymne an, fordert das Publikum auf, sich aus Respekt zu erheben, setzt an, singt los, singt falsch, singt frei und singt lang. Minutenlang. Ignoriert zögerliche Buhrufe, überdreht den Witz und geht so an die Grenze. Auch indem er sich im Gespräch mit einer Feministin als Chauvinist zu erkennen gibt.
Oder indem er in einer kleinen US-Bar ein «kasachisches Volkslied» anstimmt, dessen Inhalt klar antisemitisch ist. Die Restaurantgäste singen bedenkenlos mit, wodurch uns Cohen Baron Ignoranz und Alltagsrassismus vor Augen führt. Genial einfach und einfach genial.
Ebenso seine dritte Rolle, die allmählich an Gewicht gewinnt: Brüno, schwul, stylish und Moderator einer österreichischen Jugendsendung. In dieser Gestalt schickt sich Baron Cohen an Fashion-Events, führt uns dabei die Oberflächlichkeit und oft auch schlicht die Dummheit dieser Branche vor Augen. Etwa als er im Gespräch mit einer amerikanischen Designerin sagt, dass «man alle Mode-Ignoranten in einen Zug stecken und in ein Lager schicken sollte» und ihm diese tatsächlich zustimmt. Nicht hinterfragend, welches historische Bild Brüno gerade bemüht hatu2026
GRENZEN AUSLOTEND. Baron Co-hen zieht seine Rollen durch, spielt mit der Vermischung aus Fiktion und Realität, und das ist in den Augen der Kasachen das grosse Problem: dass die Satire missverstanden wird und die Welt tatsächlich glauben könnte, in ihrem Land würde Wein aus Pferde-Urin gewonnen, würden Frauen in Käfigen leben und vor jeder Party erst einmal ein Hund erschossen, wie dies Borat allen Gesprächspartnern ungefragt mitteilt. Es reicht, entschied die Regierung nach der MTV-Show und drohte dem Darsteller wegen Verunglimpfungen rechtliche Schritte an.
Öffentlich Stellung bezieht Baron Cohen nicht. Er trennt Privat- und Berufsleben konsequent, wie die Pressedame des englischen TV-Senders Channel 4 bestätigt: «Mister Baron Cohen gibt keine Auskünfte zu seiner Person», sagt sie knapp und erklärt, dass dies Teil seines Konzepts sei. Das zieht er eisern durch. Selbst als er bei Michael Parkinson Gast war, dem berühmten BBC-Talkmaster, der mit klugen Interviews Einblick hinter die Fassaden der Stars gibt, trat nicht Sacha Baron Cohen, sondern Ali G. auf.
ungerührt FORTSETZEND. Baron Cohen trieb diese Schizophrenie auf die Spitze, indem er auf die Vorwürfe und Drohungen der kasachischen Regierung stumm blieb, Borat aber sprechen liess. Auf
http://www.borat.kz war zu lesen: «Ich möchte festhalten, dass ich nichts mit Mr. Cohen zu tun habe und mein Land voll und ganz darin unterstütze, diesen Juden zu verklagen.»
Das reichte. Die kasachische Regierung veranlasste die Sperrung der Website vor Weihnachten. Nurlan Isin, der Präsident des kasachischen IT-Verbandes, kommentierte die Entscheidung: «Wir haben es gemacht, damit er Kasachstan nicht weiter unter einer .kz-Domain beschimpfen kann.» Es sieht nicht danach aus, dass der Satiriker klein beigeben wird, arbeitet er derzeit doch an einem Pseudo-Dokumentarfilm: «Borat, The Movie». Der Film soll 2006 in die Kinos kommen. Der Streit mit der kasachischen Regierung ist dafür schon mal beste Gratiswerbung.
> Sacha Baron Cohen auf DVD: «Ali G. - Bling Bling», 97 Minuten, 2001. «Ali G. - Innit», 89 Minuten, 2002. «Ali G. In Da USAiii», 220 Minuten, 2003. (erschienen bei Channel 4, England)
http://www.disbealig.com http://www.hbo.com/alig http://www.boyakasha.co.uk «Ali G.» «Borat Sagdiyev» «Brüno»