Wie der Fan zum Hooligan gemacht wurde
Verfasst: 03.12.2007, 23:32
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Rund 440 Fussballfans sind in der Schweiz mit einem Stadionverbot belegt, unter ihnen Thierry R. aus Basel. Wegen eines Kavaliersdelikts: Er wollte gratis an ein Spiel.
Von Dario Venutti
Christian Constantin ist der bekannteste Hooligan der Schweiz. Der Präsident des FC Sion soll im Dezember 2004 im Kabinengang in Kriens einen Schiedsrichter in den Unterleib getreten haben. Weil das Strafverfahren hängig ist, kann er seine Funktion weiterhin ausüben. Constantin hat bis jetzt auch kein Stadionverbot erhalten.
Auch gegen Thierry R. läuft ein Verfahren, und zwar wegen eines vergleichsweise harmlosen Vergehens. Der Fan des FC Basel hatte im Oktober dieses Jahres beim Auswärtsspiel in Aarau versucht, mit dem Trainerausweis eines Freundes ins Stadion zu gelangen. Im Gegensatz zu Constantin kannten Verbandsjustiz und Polizei bei Thierry R. allerdings keine Gnade: Der 25-Jährige wurde mit dem Kastenwagen der Aargauer Kantonspolizei wie ein Verbrecher abgeführt, auf dem Polizeiposten einvernommen und mit einem landesweiten Stadionverbot von zwei Jahren belegt. Gestützt auf den kantonalen Wegweisungsartikel, darf sich Thierry R. in dieser Saison vor und nach Spielen des FC Aarau auch nicht in der Stadt aufhalten.
Kultur statt Stimmungsmache
Auf diese Weise ist aus einem durchschnittlichen Fussballfan ein Hooligan gemacht worden. Stadionverbote werden in der Regel gegen Randalierer und bei Verstössen gegen das Sprengstoffgesetz (Pyro) ausgesprochen. Thierry R. dagegen hat sich bislang noch nie etwas zu Schulden kommen lassen. Seit Jahren besucht er mit seinen Freunden die Heim- und Auswärtsspiele des FC Basel. Die Gruppe steht weder in der Muttenzerkurve, wo die eingefleischten Fans Stimmung machen, noch reist sie mit den Extrazügen der Ultras an die Auswärtsspiele. Lieber verbindet die Gruppe die Besuche von Fussballspielen mit Stadtbesichtigungen und kulturellen Aktivitäten. Thierry R. studiert Betriebswirtschaft und möchte Gymnasiallehrer werden.
Im Prinzip hat Thierry R. ein Kavaliersdelikt begangen. Zwar sind Trainer- oder Schiedsrichterausweise, die einen kostenlosen Eintritt in ein Stadion ermöglichen, nicht übertragbar. Trotzdem werden sie unter Kollegen und Freunden ausgetauscht, und schon manch einer, der kein Journalist ist, ist mit einem Presseausweis in ein Stadion gelangt.
Keine Gnade vor Recht
Thierry R. hat sich für sein Vergehen entschuldigt, und er hatte in Aarau damals angeboten, ein Eintrittsticket zu kaufen, nachdem man ihn erwischt hatte. Doch der Sicherheitschef des FC Aarau, Leo Locher, wollte nicht Gnade vor Recht ergehen lassen. Weil das Vergehen von Thierry R. im Reglement der Fussballliga betreffend Stadionverbote nicht explizit aufgeführt wird, musste sich Locher auf den Paragraph des Artikel 7 stützen, um ein solches auszusprechen: «sonstige schwere Straftaten». «Sie können ja auch nicht mit einer gefälschten 100er-Note in der Migros einkaufen», sagt Locher dazu.
Thierry R. kann akzeptieren, dass er ein Stadionverbot in Aarau erhalten hat. «Aber warum landesweit?», fragt er und gibt die Antwort gleich selber: «Punkto Sicherheit herrscht in der Schweiz im Hinblick auf die EM teilweise Hysterie. Deshalb wird auch das kleinste Vergehen gnadenlos bestraft.» Tatsächlich hätte der Sicherheitschef des FC Aarau die Möglichkeit gehabt, das Stadionverbot auf Aarau zu beschränken. In der Praxis hat es sich allerdings eingebürgert, gleich landesweite Verbote auszusprechen, weil die Fussballliga das so will. Mit andern Worten: Die Sicherheitschefs haben einen Ermessensspielraum, aber sie sollen ihn nicht ausschöpfen.
Willkür nicht ausgeschlossen
Ulrich Pfister, Sicherheitschef des Fussballverbandes, will nicht ausschliessen, dass mit Stadionverboten Willkür betrieben wird. Und er räumt ein, dass die Praxis moderater werden müsse, ohne auf den Fall von Thierry R. eingehen zu wollen. Dem Basler Fussballfan nützt dies einstweilen nichts: Aus Sicht der Liga kann das Stadionverbot gegen ihn nicht aufgehoben werden, weil dies in der Kompetenz des FC Aarau läge. Dessen Sicherheitschef Leo Locher hingegen sagt, er könnte nichts machen, weil die Polizei ein Strafverfahren wegen «Erschleichens einer Leistung» eröffnet habe. Thierry R. bleibt nichts anderes übrig, als die Spiele des FC Basel im Fernsehen zu verfolgen, während Sion-Präsident Christian Constantin weiterhin im Stadion auf der VIP-Tribüne sitzen darf.
Rund 440 Fussballfans sind in der Schweiz mit einem Stadionverbot belegt, unter ihnen Thierry R. aus Basel. Wegen eines Kavaliersdelikts: Er wollte gratis an ein Spiel.
Von Dario Venutti
Christian Constantin ist der bekannteste Hooligan der Schweiz. Der Präsident des FC Sion soll im Dezember 2004 im Kabinengang in Kriens einen Schiedsrichter in den Unterleib getreten haben. Weil das Strafverfahren hängig ist, kann er seine Funktion weiterhin ausüben. Constantin hat bis jetzt auch kein Stadionverbot erhalten.
Auch gegen Thierry R. läuft ein Verfahren, und zwar wegen eines vergleichsweise harmlosen Vergehens. Der Fan des FC Basel hatte im Oktober dieses Jahres beim Auswärtsspiel in Aarau versucht, mit dem Trainerausweis eines Freundes ins Stadion zu gelangen. Im Gegensatz zu Constantin kannten Verbandsjustiz und Polizei bei Thierry R. allerdings keine Gnade: Der 25-Jährige wurde mit dem Kastenwagen der Aargauer Kantonspolizei wie ein Verbrecher abgeführt, auf dem Polizeiposten einvernommen und mit einem landesweiten Stadionverbot von zwei Jahren belegt. Gestützt auf den kantonalen Wegweisungsartikel, darf sich Thierry R. in dieser Saison vor und nach Spielen des FC Aarau auch nicht in der Stadt aufhalten.
Kultur statt Stimmungsmache
Auf diese Weise ist aus einem durchschnittlichen Fussballfan ein Hooligan gemacht worden. Stadionverbote werden in der Regel gegen Randalierer und bei Verstössen gegen das Sprengstoffgesetz (Pyro) ausgesprochen. Thierry R. dagegen hat sich bislang noch nie etwas zu Schulden kommen lassen. Seit Jahren besucht er mit seinen Freunden die Heim- und Auswärtsspiele des FC Basel. Die Gruppe steht weder in der Muttenzerkurve, wo die eingefleischten Fans Stimmung machen, noch reist sie mit den Extrazügen der Ultras an die Auswärtsspiele. Lieber verbindet die Gruppe die Besuche von Fussballspielen mit Stadtbesichtigungen und kulturellen Aktivitäten. Thierry R. studiert Betriebswirtschaft und möchte Gymnasiallehrer werden.
Im Prinzip hat Thierry R. ein Kavaliersdelikt begangen. Zwar sind Trainer- oder Schiedsrichterausweise, die einen kostenlosen Eintritt in ein Stadion ermöglichen, nicht übertragbar. Trotzdem werden sie unter Kollegen und Freunden ausgetauscht, und schon manch einer, der kein Journalist ist, ist mit einem Presseausweis in ein Stadion gelangt.
Keine Gnade vor Recht
Thierry R. hat sich für sein Vergehen entschuldigt, und er hatte in Aarau damals angeboten, ein Eintrittsticket zu kaufen, nachdem man ihn erwischt hatte. Doch der Sicherheitschef des FC Aarau, Leo Locher, wollte nicht Gnade vor Recht ergehen lassen. Weil das Vergehen von Thierry R. im Reglement der Fussballliga betreffend Stadionverbote nicht explizit aufgeführt wird, musste sich Locher auf den Paragraph des Artikel 7 stützen, um ein solches auszusprechen: «sonstige schwere Straftaten». «Sie können ja auch nicht mit einer gefälschten 100er-Note in der Migros einkaufen», sagt Locher dazu.
Thierry R. kann akzeptieren, dass er ein Stadionverbot in Aarau erhalten hat. «Aber warum landesweit?», fragt er und gibt die Antwort gleich selber: «Punkto Sicherheit herrscht in der Schweiz im Hinblick auf die EM teilweise Hysterie. Deshalb wird auch das kleinste Vergehen gnadenlos bestraft.» Tatsächlich hätte der Sicherheitschef des FC Aarau die Möglichkeit gehabt, das Stadionverbot auf Aarau zu beschränken. In der Praxis hat es sich allerdings eingebürgert, gleich landesweite Verbote auszusprechen, weil die Fussballliga das so will. Mit andern Worten: Die Sicherheitschefs haben einen Ermessensspielraum, aber sie sollen ihn nicht ausschöpfen.
Willkür nicht ausgeschlossen
Ulrich Pfister, Sicherheitschef des Fussballverbandes, will nicht ausschliessen, dass mit Stadionverboten Willkür betrieben wird. Und er räumt ein, dass die Praxis moderater werden müsse, ohne auf den Fall von Thierry R. eingehen zu wollen. Dem Basler Fussballfan nützt dies einstweilen nichts: Aus Sicht der Liga kann das Stadionverbot gegen ihn nicht aufgehoben werden, weil dies in der Kompetenz des FC Aarau läge. Dessen Sicherheitschef Leo Locher hingegen sagt, er könnte nichts machen, weil die Polizei ein Strafverfahren wegen «Erschleichens einer Leistung» eröffnet habe. Thierry R. bleibt nichts anderes übrig, als die Spiele des FC Basel im Fernsehen zu verfolgen, während Sion-Präsident Christian Constantin weiterhin im Stadion auf der VIP-Tribüne sitzen darf.