Kommerzialisierung im negativen Sinn
Verfasst: 31.10.2007, 13:40
Betrifft zwar den ZSC (Eishockey) könnte aber genausogut für einen Fussballverein stehen:
Die keimfreie Zürcher Eiszeit
Zuschauer-Erosion im Hallenstadion
von Sven Schoch (Si)
(spg) Das Zürcher Hallenstadion war während Jahrzehnten ein Epizentrum von «Eishockey-Verrückten». Im Oerliker Schmelztiegel litten und feierten die Anhänger hemmungslos. Von dieser rauschenden Atmosphäre ist nicht mehr viel übrig. Die Leidenschaft wurde wegretouchiert. Das Stimmungstief ist nicht nur das Resultat sportlicher Turbulenzen.
Nach einem Fehlstart hat sich zumindest die Situation im Rink dank fünf Siegen in Serie normalisiert. Der Trennstrich und ein Top-8-Platz sind wieder in Sichtweite gerückt. Ausserhalb der Eisfläche hingegen haben sich die Probleme akzentuiert. Im aktuellen Geschäftsbericht wies die Organisation einen (Rekord-)Verlust von über 5,3 Millionen Franken aus. Neben den tiefroten Zahlen in der Bilanz macht den ZSC Lions die Abwanderung des Publikums schwer zu schaffen.
Der ZSC verlor in den vergangenen Saisons kontinuierlich Zuschauer. Für die ersten sechs Heimspiele der neuen Saison verkauften die Zürcher im Schnitt nur 6100 Tickets. Gegen Zug erschienen weniger als 6000 Fans, gegen die Erzrivalen Bern und Lugano nur ein paar Hundert mehr. Selbst im Duell mit Kloten (6621), das früher massenhaft Zuschauer anlockte, blieb die moderne Arena in Oerlikon halb leer. Vor zwei Jahren wollten in der Qualifikation pro Spiel 8539 Anhänger den ZSC sehen, 1992 zog sogar ein Spiel gegen Ajoie mehr Leute an als das letzte Zürcher Derby.
Nur mit sportlichen Argumenten ist der eklatante Zuschauerschwund nicht zu erklären. Im Oerliker «Tempel» feierte das Volk in den Achtziger- und Neunzigerjahren auch ohne erstklassige Unterhaltung Eishockey-Feste. Gourmets kamen lange weder im Sport noch in der Gastronomie, wo eher auf währschafte Kost gesetzt wurde, auf ihre Rechnung. Die ZSC-Gemeinde orientierte sich am Spektakel auf den Nebenschauplätzen. Das allgemeine Wohlbefinden hing nicht nur vom Tabellenstand ab. Um Video-Würfel-Botschaften kümmerte sich niemand.
Kurs- und Imagewechsel
1997 kam es zum radikalen Kurs- und Namenswechsel. Der Rahmen (und das Publikum) blieb zwar gleich, im Kern wandelte sich der Zürcher Schlittschuh-Club vollumfänglich. Die (negativen) Auswirkungen der unpopulären Fusion mit der GC-Eishockey-Sektion sind im Umfeld der Lions erst mit Verspätung spürbar. Durch den Import von hochwertigem Personal und mit einem sportlichen Steigerungslauf zur Titel-Doublette waren die «Verlierer» der Verschmelzung zunächst einmal ruhiggestellt worden.
Kritische Stimmen verstummten, das Wort gehörte den Geldgebern aus dem GC-Kreis. Die störenden (Gras-)Raucher wurden aus dem Stadion verbannt und die ehemals wilden Biertrinker domestiziert. Sogar die legendären Wunderkerzen brennen vor dem ersten Puckeinwurf nicht mehr. Die Klub-Führung dozierte vor den Spielen über die Verhaltensregeln. Für die Zeit nach dem Umbau wünschte sich die Chef-Etage ein Eventpublikum. Vom alten Kneipengroove sollte nichts mehr übrig bleiben. Ziel «erreicht»: Im Hallenstadion herrscht die keimfreie Eiszeit.
Der Mäzen und der unerfreuliche Nebeneffekt
Seit über einer Dekade bewahrt Walter Frey die unrentable Gesamtorganisation mit Millionenbeträgen vor dem Konkurs. Simon Schenk, bis im Oktober vor einem Jahr einflussreicher Sportchef und Geschäftsführer der Lions, investierte das Geld während fast neun Jahren ins Team. Zu Beginn seiner Amtszeit setzte Schenk zweifelsfrei auf die richtigen Professionals. Nach dem zweiten Titelgewinn hingegen verspekulierte sich auch Schenk mehrfach. Und im Umgang mit den eingefleischten Fans trat der konservative Emmentaler Lehrer mit wenig Fingerspitzengefühl auf.
Viele der alten Fraktion haben sich vom Traditionsklub abgewendet. «Die Emotionen fehlen auf verschiedenen Ebenen», hat Ernst Meier festgestellt. Der «Mister ZSC» bedauert, dass «zum Beispiel der 'Pausenunterhalter' Walter Scheibli wegen einer minimalen Gage durch Simon Schenk himself mit seinen belehrenden Statements abgeschafft wurde. Hier und in vielen anderen Dingen herrscht(e) wenig Sensibilität vor.» Mit diesem Sololauf schuf sich Schenk auch unterhalb des «3. Ranges» keine neuen Zürcher Freunde.
Charakterkopf Meier trat vor drei Jahren aus dem Verwaltungsrat der ZLE Betriebs AG aus, weil er die Entwicklung im personellen Bereich nicht mehr goutierte. Das Engagement von launischen Stars ohne Identifikation mit dem Klub missfiel dem ZSC-Präsident mehr und mehr. «Es wurde ohne klares Konzept mit der grossen Kelle angerichtet. Immer wieder waren Trainer am Werk, die keine Jungen einbauten.»
Die Abhängigkeit der ZSC Lions von der «Geldquelle» Walter Frey stuft Meier, der selber die Supporter-Vereinigung «Club 21 präsidiert, als gefährlich ein. «Wenn ein einziger Mann die Millionendefizite immer tilgt, wirkt sich das im Sponsoringbereich kontraproduktiv aus. Die kleineren Sponsoren bekommen das Gefühl, sie seien so oder so eine vernachlässigbare Gruppe», warnt Meier. «Die Gönnerorganisationen leiden unter einer regelrechten Erosion.»
Offenkundig haben die ZSC Lions auf oberster Ebene ein Imageproblem. In diese Richtung sind die Ausführungen Meiers zu deuten. Die Marke ZSC opferte der «Geldadel» für ein erfolgsorientiertes Zürcher Hockey-Unternehmen. «Die Namensänderung erachte ich auch zehn Jahre später noch als gravierenden Fehler. Das wurde von GC durchgedrückt», ärgert sich Meier über die fahrlässige Abwertung eines etablierten Namens. Auch er weiss nur zu gut, dass die Identifikation mit einem Sportklub primär eine Herzensangelegenheit ist -- vor allem während Schwächeperioden.
«Ich habe dezidiert die Meinung geäussert, dass das Namens-Konstrukt 'GCK Lions' ebenso quer liegt wie das der 'ZSC Lions'. GC Eishockey ist eine stolze Sektion des Grasshopperclubs und nichts anderes! Und der 'ZSC' ist eine Marke die man nicht ungestraft verwässert», spricht Meier Klartext. Er regt sogar «die Rückkehr zur Natur der beiden Klubs» an. Obschon ihm klar ist, dass das Rad juristisch nicht zurückgedreht werden kann. «Aber die so unterschiedlichen Organisationen sollten sich wieder mit ihren Exponenten fürs jeweilige Publikum starkmachen.»
Mit dem neuen Stadion hätten die Zuschauerverluste nichts zu tun. «Es ist sogar publikumsfreundlicher», behauptet Meier aus der Sicht des Architekten. Ähnlich beurteilt Peter Zahner die Lage. Der künftige CEO der ZSC Lions denkt, dass «es eine Ansammlung von Aspekten gibt, die den ZSC Zuschauer kostet». Zahner weist auf den ungünstigen Spielplan und das «riesige Zürcher Angebot an Events» hin. Im Vordergrund steht bei seiner Problemanalyse das Geschehen auf der Sportbühne: «Man kann die Unterhaltung nicht künstlich ins Stadion tragen. Die Emotionen müssen unten auf dem Eis vorgelebt werden.» Und oben auf den Sitzreihen dürfen sie nicht verhindert werden.
Die keimfreie Zürcher Eiszeit
Zuschauer-Erosion im Hallenstadion
von Sven Schoch (Si)
(spg) Das Zürcher Hallenstadion war während Jahrzehnten ein Epizentrum von «Eishockey-Verrückten». Im Oerliker Schmelztiegel litten und feierten die Anhänger hemmungslos. Von dieser rauschenden Atmosphäre ist nicht mehr viel übrig. Die Leidenschaft wurde wegretouchiert. Das Stimmungstief ist nicht nur das Resultat sportlicher Turbulenzen.
Nach einem Fehlstart hat sich zumindest die Situation im Rink dank fünf Siegen in Serie normalisiert. Der Trennstrich und ein Top-8-Platz sind wieder in Sichtweite gerückt. Ausserhalb der Eisfläche hingegen haben sich die Probleme akzentuiert. Im aktuellen Geschäftsbericht wies die Organisation einen (Rekord-)Verlust von über 5,3 Millionen Franken aus. Neben den tiefroten Zahlen in der Bilanz macht den ZSC Lions die Abwanderung des Publikums schwer zu schaffen.
Der ZSC verlor in den vergangenen Saisons kontinuierlich Zuschauer. Für die ersten sechs Heimspiele der neuen Saison verkauften die Zürcher im Schnitt nur 6100 Tickets. Gegen Zug erschienen weniger als 6000 Fans, gegen die Erzrivalen Bern und Lugano nur ein paar Hundert mehr. Selbst im Duell mit Kloten (6621), das früher massenhaft Zuschauer anlockte, blieb die moderne Arena in Oerlikon halb leer. Vor zwei Jahren wollten in der Qualifikation pro Spiel 8539 Anhänger den ZSC sehen, 1992 zog sogar ein Spiel gegen Ajoie mehr Leute an als das letzte Zürcher Derby.
Nur mit sportlichen Argumenten ist der eklatante Zuschauerschwund nicht zu erklären. Im Oerliker «Tempel» feierte das Volk in den Achtziger- und Neunzigerjahren auch ohne erstklassige Unterhaltung Eishockey-Feste. Gourmets kamen lange weder im Sport noch in der Gastronomie, wo eher auf währschafte Kost gesetzt wurde, auf ihre Rechnung. Die ZSC-Gemeinde orientierte sich am Spektakel auf den Nebenschauplätzen. Das allgemeine Wohlbefinden hing nicht nur vom Tabellenstand ab. Um Video-Würfel-Botschaften kümmerte sich niemand.
Kurs- und Imagewechsel
1997 kam es zum radikalen Kurs- und Namenswechsel. Der Rahmen (und das Publikum) blieb zwar gleich, im Kern wandelte sich der Zürcher Schlittschuh-Club vollumfänglich. Die (negativen) Auswirkungen der unpopulären Fusion mit der GC-Eishockey-Sektion sind im Umfeld der Lions erst mit Verspätung spürbar. Durch den Import von hochwertigem Personal und mit einem sportlichen Steigerungslauf zur Titel-Doublette waren die «Verlierer» der Verschmelzung zunächst einmal ruhiggestellt worden.
Kritische Stimmen verstummten, das Wort gehörte den Geldgebern aus dem GC-Kreis. Die störenden (Gras-)Raucher wurden aus dem Stadion verbannt und die ehemals wilden Biertrinker domestiziert. Sogar die legendären Wunderkerzen brennen vor dem ersten Puckeinwurf nicht mehr. Die Klub-Führung dozierte vor den Spielen über die Verhaltensregeln. Für die Zeit nach dem Umbau wünschte sich die Chef-Etage ein Eventpublikum. Vom alten Kneipengroove sollte nichts mehr übrig bleiben. Ziel «erreicht»: Im Hallenstadion herrscht die keimfreie Eiszeit.
Der Mäzen und der unerfreuliche Nebeneffekt
Seit über einer Dekade bewahrt Walter Frey die unrentable Gesamtorganisation mit Millionenbeträgen vor dem Konkurs. Simon Schenk, bis im Oktober vor einem Jahr einflussreicher Sportchef und Geschäftsführer der Lions, investierte das Geld während fast neun Jahren ins Team. Zu Beginn seiner Amtszeit setzte Schenk zweifelsfrei auf die richtigen Professionals. Nach dem zweiten Titelgewinn hingegen verspekulierte sich auch Schenk mehrfach. Und im Umgang mit den eingefleischten Fans trat der konservative Emmentaler Lehrer mit wenig Fingerspitzengefühl auf.
Viele der alten Fraktion haben sich vom Traditionsklub abgewendet. «Die Emotionen fehlen auf verschiedenen Ebenen», hat Ernst Meier festgestellt. Der «Mister ZSC» bedauert, dass «zum Beispiel der 'Pausenunterhalter' Walter Scheibli wegen einer minimalen Gage durch Simon Schenk himself mit seinen belehrenden Statements abgeschafft wurde. Hier und in vielen anderen Dingen herrscht(e) wenig Sensibilität vor.» Mit diesem Sololauf schuf sich Schenk auch unterhalb des «3. Ranges» keine neuen Zürcher Freunde.
Charakterkopf Meier trat vor drei Jahren aus dem Verwaltungsrat der ZLE Betriebs AG aus, weil er die Entwicklung im personellen Bereich nicht mehr goutierte. Das Engagement von launischen Stars ohne Identifikation mit dem Klub missfiel dem ZSC-Präsident mehr und mehr. «Es wurde ohne klares Konzept mit der grossen Kelle angerichtet. Immer wieder waren Trainer am Werk, die keine Jungen einbauten.»
Die Abhängigkeit der ZSC Lions von der «Geldquelle» Walter Frey stuft Meier, der selber die Supporter-Vereinigung «Club 21 präsidiert, als gefährlich ein. «Wenn ein einziger Mann die Millionendefizite immer tilgt, wirkt sich das im Sponsoringbereich kontraproduktiv aus. Die kleineren Sponsoren bekommen das Gefühl, sie seien so oder so eine vernachlässigbare Gruppe», warnt Meier. «Die Gönnerorganisationen leiden unter einer regelrechten Erosion.»
Offenkundig haben die ZSC Lions auf oberster Ebene ein Imageproblem. In diese Richtung sind die Ausführungen Meiers zu deuten. Die Marke ZSC opferte der «Geldadel» für ein erfolgsorientiertes Zürcher Hockey-Unternehmen. «Die Namensänderung erachte ich auch zehn Jahre später noch als gravierenden Fehler. Das wurde von GC durchgedrückt», ärgert sich Meier über die fahrlässige Abwertung eines etablierten Namens. Auch er weiss nur zu gut, dass die Identifikation mit einem Sportklub primär eine Herzensangelegenheit ist -- vor allem während Schwächeperioden.
«Ich habe dezidiert die Meinung geäussert, dass das Namens-Konstrukt 'GCK Lions' ebenso quer liegt wie das der 'ZSC Lions'. GC Eishockey ist eine stolze Sektion des Grasshopperclubs und nichts anderes! Und der 'ZSC' ist eine Marke die man nicht ungestraft verwässert», spricht Meier Klartext. Er regt sogar «die Rückkehr zur Natur der beiden Klubs» an. Obschon ihm klar ist, dass das Rad juristisch nicht zurückgedreht werden kann. «Aber die so unterschiedlichen Organisationen sollten sich wieder mit ihren Exponenten fürs jeweilige Publikum starkmachen.»
Mit dem neuen Stadion hätten die Zuschauerverluste nichts zu tun. «Es ist sogar publikumsfreundlicher», behauptet Meier aus der Sicht des Architekten. Ähnlich beurteilt Peter Zahner die Lage. Der künftige CEO der ZSC Lions denkt, dass «es eine Ansammlung von Aspekten gibt, die den ZSC Zuschauer kostet». Zahner weist auf den ungünstigen Spielplan und das «riesige Zürcher Angebot an Events» hin. Im Vordergrund steht bei seiner Problemanalyse das Geschehen auf der Sportbühne: «Man kann die Unterhaltung nicht künstlich ins Stadion tragen. Die Emotionen müssen unten auf dem Eis vorgelebt werden.» Und oben auf den Sitzreihen dürfen sie nicht verhindert werden.