Inter
Verfasst: 11.04.2006, 12:30
Die Rächer kommen nachts um zwei
Prügel für die Spieler und der ganz normale Wahnsinn bei Inter
Die Inter-Mannschaft, die mit einem versöhnlichen 2:1-Sieg aus Ascoli im Gepäck in der Sonntagnacht um 2 Uhr 15 in Mailand-Malpensa landete, wurde von 70 schlaflosen Ultras in Empfang genommen und verprügelt. Die aggressive Horde, die sich «Monkeys» nennt, stürzte sich vor allem auf Cristiano Zanetti, einen der letzten Italiener im Kader, der mit blutverschmiertem Gesicht liegen blieb, und auf dessen argentinischen Namensvetter Javier Zanetti. Der Auftritt der organisierten Rächer, die wegen Landfriedensbruchs zur Rechenschaft gezogen werden, wurde von den automatischen Videokameras gefilmt und dauerte kaum zwölf Minuten.
Der explosive Frust im Inter-Lager ist ein wiederkehrendes Syndrom. Inter schied, wieder einmal, bereits im Viertelfinal der Champions League aus, auf die schnöde, überhebliche Art. Und die Spieler - allen voran Véron und Adriano - lagen sich schon in der Pause in den Haaren. Das Team zermürbt sich in internen Kämpfen. Cristiano Zanetti, der in Spanien gar nicht gespielt hatte, traf die Wut der Erregten, weil er im Sommer zu Juventus wechselt, als «Verräter» nach dem Kodex der Schläger. Javier Zanetti, das andere Opfer, ist der Captain und einer der wenigen Spieler, die sich immer einsetzten.
Doch es ist wieder eine Saison der Schande geworden. Vier Inter-Ultras waren als Rädelsführer der Buhrufe gegen den schwarzen Messina-Spieler Zoro identifiziert und per Gerichtsurteil für vier Jahre aus den Stadien verbannt worden. Vor einem Jahr, als sich Milan und Inter im Champions-League-«Derby» gegenüberstanden, verletzten Petardenwerfer aus der Inter-Kurve den Milan-Goalie Dida und erzwangen den Abbruch. Im Jahre 2001 flog von der oberen Tribüne ein Motorrad in die Menge. Zuvor gab es Angriffe mit Molotowcocktails auf den Spielerbus.
Das Motiv für diese Gewalt-Folklore galt, selbst vor den Gerichten, die sich mit milden Urteilen begnügten, immer auch als Entschuldigung: die dauernde Erfolglosigkeit der Internazionale. Und so, wie der milliardenschwere Padrone Massimo Moratti, einer der drei grössten Erdölimporteure Italiens, stets Trainer und Spieler in Schutz nimmt, so hat er auch nie den Mut, als Hausherr gegen die Delinquenten in der Kurve vorzugehen, in der sich Drogenhandel und Rassismus unter rechtsextremistischer Regie eingenistet haben und zu einer selbstzerstörerischen Gefahr für den Klub geworden sind. Die Gruppen nennen sich (laut einer Aufstellung der Zeitung «La Repubblica»): Boys-San Milano Nerazzurra (zwei erklärte Aktivisten-Haufen), Ultras Viking (die Rassisten), Irriducibili (Neonazis), Brianza Alcoolica (die Kreativtäter), Gruppo smorto (die Todfeinde Morattis), Bulldogs, Nord Kaos und die soeben aufgefallenen Monkeys. «La pazza Inter» wird der Klub genannt. Wahnsinn Inter.
Nun scheint Moratti zu dämmern, dass auch er selber eine Ursache der Probleme sein könnte mit seiner Mischung aus Grosszügigkeit (ganz Mailand weiss seit Monaten, dass Adriano, der stolpernde Goalgetter, sich die Nächte in den Klubs um die Ohren schlägt) und Selbstmitleid (weshalb ist Recoba, sein Lieblingsspieler, seit neun Jahren ein Versager?), Ungeduld und Konfusion. Moratti hat das Spielerdenkmal Giacinto Facchetti mit dem Präsidententitel dekoriert und tritt in der Öffentlichkeit dennoch wie ein absoluter Fürst auf, der die Trainer heuert und feuert. Elf sind es, seit er 1995 den Klub übernahm, den sein Vater Angelo vor 40 Jahren gross gemacht hatte. Und obwohl Mutter Erminia die Söhne gewarnt hatte: «Wenn einer von euch Inter kauft, werde ich ihn enterben.» Neben Facchetti hält sich Moratti einen Kranz von Managern und Beratern, etwa die ehemaligen Spieler Branca und Oriali, die ihm die Transfers einflüstern. Roy Hodgson hatte ihm geraten, Roberto Carlos los zu werden (seither hat Inter mehr als zwei Dutzend Linksverteidiger ausprobiert), später hat Moratti Pirlo und Seedorf gratis zu Milan abgeschoben und damit den Rivalen stark gemacht. Jetzt sucht der Padrone einen weisen Übervater, auch aus einer nostalgischen Erkenntnis: Schon Papa Angelo hatte mit Inter acht Jahre lang nur Hohn und Spott eingeheimst, bis er den Drahtzieher Italo Allodi anstellte, dem magische Marktbeherrschungs-Kräfte nachgesagt wurden. Wie im heutigen Calcio Luciano Moggi, seit 13 Jahren Generaldirektor und Meistermacher bei Juventus Turin.
Moratti, das macht ihn auch für seine Gegner liebenswert, bleibt immer ein Gentiluomo. Inter schenkt dem Lokalkonkurrenten Milan einen zusätzlichen Ruhetag vor dem Euro-Halbfinal nächsten Dienstag gegen Barcelona: Das Derby wird auf den Karfreitag vorverlegt.
11. April 2006, Neue Zürcher Zeitung
Prügel für die Spieler und der ganz normale Wahnsinn bei Inter
Die Inter-Mannschaft, die mit einem versöhnlichen 2:1-Sieg aus Ascoli im Gepäck in der Sonntagnacht um 2 Uhr 15 in Mailand-Malpensa landete, wurde von 70 schlaflosen Ultras in Empfang genommen und verprügelt. Die aggressive Horde, die sich «Monkeys» nennt, stürzte sich vor allem auf Cristiano Zanetti, einen der letzten Italiener im Kader, der mit blutverschmiertem Gesicht liegen blieb, und auf dessen argentinischen Namensvetter Javier Zanetti. Der Auftritt der organisierten Rächer, die wegen Landfriedensbruchs zur Rechenschaft gezogen werden, wurde von den automatischen Videokameras gefilmt und dauerte kaum zwölf Minuten.
Der explosive Frust im Inter-Lager ist ein wiederkehrendes Syndrom. Inter schied, wieder einmal, bereits im Viertelfinal der Champions League aus, auf die schnöde, überhebliche Art. Und die Spieler - allen voran Véron und Adriano - lagen sich schon in der Pause in den Haaren. Das Team zermürbt sich in internen Kämpfen. Cristiano Zanetti, der in Spanien gar nicht gespielt hatte, traf die Wut der Erregten, weil er im Sommer zu Juventus wechselt, als «Verräter» nach dem Kodex der Schläger. Javier Zanetti, das andere Opfer, ist der Captain und einer der wenigen Spieler, die sich immer einsetzten.
Doch es ist wieder eine Saison der Schande geworden. Vier Inter-Ultras waren als Rädelsführer der Buhrufe gegen den schwarzen Messina-Spieler Zoro identifiziert und per Gerichtsurteil für vier Jahre aus den Stadien verbannt worden. Vor einem Jahr, als sich Milan und Inter im Champions-League-«Derby» gegenüberstanden, verletzten Petardenwerfer aus der Inter-Kurve den Milan-Goalie Dida und erzwangen den Abbruch. Im Jahre 2001 flog von der oberen Tribüne ein Motorrad in die Menge. Zuvor gab es Angriffe mit Molotowcocktails auf den Spielerbus.
Das Motiv für diese Gewalt-Folklore galt, selbst vor den Gerichten, die sich mit milden Urteilen begnügten, immer auch als Entschuldigung: die dauernde Erfolglosigkeit der Internazionale. Und so, wie der milliardenschwere Padrone Massimo Moratti, einer der drei grössten Erdölimporteure Italiens, stets Trainer und Spieler in Schutz nimmt, so hat er auch nie den Mut, als Hausherr gegen die Delinquenten in der Kurve vorzugehen, in der sich Drogenhandel und Rassismus unter rechtsextremistischer Regie eingenistet haben und zu einer selbstzerstörerischen Gefahr für den Klub geworden sind. Die Gruppen nennen sich (laut einer Aufstellung der Zeitung «La Repubblica»): Boys-San Milano Nerazzurra (zwei erklärte Aktivisten-Haufen), Ultras Viking (die Rassisten), Irriducibili (Neonazis), Brianza Alcoolica (die Kreativtäter), Gruppo smorto (die Todfeinde Morattis), Bulldogs, Nord Kaos und die soeben aufgefallenen Monkeys. «La pazza Inter» wird der Klub genannt. Wahnsinn Inter.
Nun scheint Moratti zu dämmern, dass auch er selber eine Ursache der Probleme sein könnte mit seiner Mischung aus Grosszügigkeit (ganz Mailand weiss seit Monaten, dass Adriano, der stolpernde Goalgetter, sich die Nächte in den Klubs um die Ohren schlägt) und Selbstmitleid (weshalb ist Recoba, sein Lieblingsspieler, seit neun Jahren ein Versager?), Ungeduld und Konfusion. Moratti hat das Spielerdenkmal Giacinto Facchetti mit dem Präsidententitel dekoriert und tritt in der Öffentlichkeit dennoch wie ein absoluter Fürst auf, der die Trainer heuert und feuert. Elf sind es, seit er 1995 den Klub übernahm, den sein Vater Angelo vor 40 Jahren gross gemacht hatte. Und obwohl Mutter Erminia die Söhne gewarnt hatte: «Wenn einer von euch Inter kauft, werde ich ihn enterben.» Neben Facchetti hält sich Moratti einen Kranz von Managern und Beratern, etwa die ehemaligen Spieler Branca und Oriali, die ihm die Transfers einflüstern. Roy Hodgson hatte ihm geraten, Roberto Carlos los zu werden (seither hat Inter mehr als zwei Dutzend Linksverteidiger ausprobiert), später hat Moratti Pirlo und Seedorf gratis zu Milan abgeschoben und damit den Rivalen stark gemacht. Jetzt sucht der Padrone einen weisen Übervater, auch aus einer nostalgischen Erkenntnis: Schon Papa Angelo hatte mit Inter acht Jahre lang nur Hohn und Spott eingeheimst, bis er den Drahtzieher Italo Allodi anstellte, dem magische Marktbeherrschungs-Kräfte nachgesagt wurden. Wie im heutigen Calcio Luciano Moggi, seit 13 Jahren Generaldirektor und Meistermacher bei Juventus Turin.
Moratti, das macht ihn auch für seine Gegner liebenswert, bleibt immer ein Gentiluomo. Inter schenkt dem Lokalkonkurrenten Milan einen zusätzlichen Ruhetag vor dem Euro-Halbfinal nächsten Dienstag gegen Barcelona: Das Derby wird auf den Karfreitag vorverlegt.
11. April 2006, Neue Zürcher Zeitung