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Basel, ein Fall für sich

Verfasst: 09.03.2006, 09:24
von Gonzo
Ausuferndes Glück
Von Markus Schär

Mit der Fasnacht sind in Basel die schönsten Tage vorbei, jetzt kommen wieder die noch schöneren: Ob grosszügige Sozialhilfe, üppige Beamtenlöhne oder die teuren Spiele zum Brot u2013 diese Stadt kann sich alles leisten. Vom geerbten Wohlstand lässt sich gut leben, aber nicht ewig.

«Basel ist eine hervorragende Stadt», schwärmt Mehmet Kabakci. Der eingewanderte Kurde, der sich vor sieben Jahren in Basel einbürgern liess, schaffte letzten Sommer die Wahl in den Bürgergemeinderat mit der höchsten Stimmenzahl. Hinter ihm zogen vier Sozialdemokraten mit gleicher Herkunft in den Rat ein, zusammen stellen sie fast die Hälfte der SP-Fraktion. Wenn die eingebürgerten Einwanderer sich parteipolitisch einbänden, freute sich ihre Partei, «dann werden sie zum Machtfaktor im Kanton». In der Tat: Dem grossen Einsatz der Kurden verdankt die Linke, dass sie neben der Regierung und dem Parlament des Kantons nun auch die Bürgergemeinde beherrscht.

Dieser alten, nach wie vor bedeutenden Institution gehören nur echte Bürger an. Insgesamt leben in der Stadt 50 000 wahlberechtigte Leute mit Heimatort Basel, unter ihnen 3000 eingebürgerte Türken. Die Bürgergemeinde ist ein «soziales Holding-Unternehmen» (Basler Zeitung), das die Aufgaben wahrnimmt, um die sich in anderen Städten ein Sozialdepartement kümmert: Sie sorgt für die Sozialhilfe, führt das Bürgerspital und betreut Jugendliche im ehemaligen Waisenhaus. Sie beaufsichtigt die Christoph-Merian-Stiftung, eine der reichsten des Landes. Und sie bürgert die neuen Schweizer ein.

«Diese Stadt ist krank», bedauert Edwin Tschopp. Der Marketingmann führte den Wahlkampf von Saskia Frei, die am 12. Februar den einzigen FDP-Sitz in der Kantonsregierung hätte verteidigen sollen. Die Scheidungsanwältin brachte aber die mächtige Linke gegen sich auf, weil sie Ausländer, die jahrelang von der Sozialhilfe leben, heimschicken wollte u2013 wie es das Gesetz vorsieht. Leserbriefschreiber zogen über die Freisinnige her, auf ihren Wahlplakaten prangten Hakenkreuze. Am Ende blieb Saskia Frei mit nur 42 Prozent der Stimmen klar unter dem absoluten Mehr; ihre einzige Gegenkandidatin, die Arbeitslose Agatha Wirth von der «Liste gegen Armut und Ausgrenzung», kam auf 30 Prozent. Saskia Frei, die Ende Jahr hätte in den Nationalrat nachrutschen können, zog sich noch am Wahltag aus der Politik zurück.

Basel u2013 eine hervorragende Stadt? Oder eine kranke Stadt? Am 19. März gehen die Basler nochmals wählen, um den siebten Sitz in der Kantonsregierung zu besetzen. Hanspeter Gass, der stellvertretende Verwaltungsdirektor des Basler Theaters, soll dann als Ersatzkandidat den FDP-Sitz retten. Denn Agatha Wirth tritt nochmals an; das Linksbündnis BastA! (Basels starke Alternative) unterstützt das «unbeschriebene Blatt» inzwischen offiziell, «weil die Anliegen der Armutsbetroffenen in unserem Kanton ernst genommen werden müssen». Der Freisinnige erhält Unterstützung von den anderen Bürgerlichen, und auch die Sozialdemokraten anerkennen den Anspruch seiner Partei. Dennoch kann er sich seiner Wahl nicht sicher sein. Was, fragen sich die Schweizer jenseits des Jurabogens, ist in Basel los?

Seltsamer Trendsetter

Der Spaziergang durch den Stadtkanton beginnt in der Elisabethenkirche, wo das Herz des sozialen Basel schlägt. Das neogotisch verschnörkelte Gotteshaus in der Nähe des Theaters wurde 1857 von Christoph und Margaretha Merian-Burckhardt gestiftet. Heute steht die «erste Citykirche der Schweiz» allen Sinnsuchenden offen, wie es sich in einer Stadt gehört, in der die Konfessionslosen mit rund 40 Prozent den grössten Anteil stellen. Im Kirchenschiff werben Flyer für das «Handauflegen durch Heilerinnen», für das Ritual «von der Heiligen Walpurga, Hexen und himmlischen Kräften», auch für die Lesbische und Schwule Basiskirche Basel. Einst entstand der bedeutende Bau als «Bollwerk gegen den Ungeist der Zeit», wie es seine Stifter wollten, die in der Gruft unbeachtet in ihren Sarkophagen liegen.

Aus einer ebenso frommen wie sparsamen Kaufmannsfamilie stammend, starb Christoph Merian 1858 als einer der reichsten Männer des Landes: Die Stadt, der sein Erbe zufiel, zehrt noch heute davon. Die Christoph-Merian-Stiftung hortet, als eine der grössten privaten Landbesitzerinnen der Schweiz, mit ihren 900 Hektaren und ihren 1500 Mietobjekten ein Vermögen von einer Viertelmilliarde. Den Ertrag von 10 Millionen setzt die Stiftung gemäss dem letzten Willen ihres Gründers ein «zur Linderung der Noth und des Unglücks» sowie «zur Förderung des Wohles der Menschen».

Gemessen an den Sozialausgaben, die in den letzten Jahren unablässig anstiegen, müssen «Noth und Unglück» in Basel schlimmer geworden sein als im 19. Jahrhundert: Was Christoph Merian damals stiftete, reicht nirgends mehr hin, um den Bedürftigen zu helfen. Letztes Jahr bezahlte der Kanton 143 Millionen, tausend Franken pro Steuerzahler, für die Sozialhilfe. 13000 Ansässige, darunter jeder neunte Jugendliche, bekamen Lebensunterhalt, Wohnung und Krankenkasse vom Staat bezahlt, 56 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Dazu lebten 4000 vom Arbeitslosengeld und 17 000 von der Invalidenrente; gut 11 000 brauchten Ergänzungsleistungen zu AHV oder IV. Ein Viertel der noch 187 000 Einwohner, von denen 40000 die Altersrente erhalten, hat also kein ausreichendes eigenes Einkommen. Mit diesen Zahlen setzt Basel Rekordmarken nicht nur bei den Kantonen, sondern auch bei den Städten im ganzen Land. Warum?

«Wenn Sie hier zum Fenster hinausschauen», sagt Ueli Mäder, «sehen Sie in jeder zweiten Wohnung eine alleinstehende Person und nur in jeder fünften eine Familie mit Kindern.» Der Soziologieprofessor sitzt in seinem engen Büro, in einem «Romantikhaus» der Kaufmannsfamilie Socin-Sarasin. Und er gibt sich nicht beunruhigt. In Basel zeige sich einfach etwas früher als in der fernen übrigen Schweiz ein gesamtgesellschaftlicher Trend, «eine Art Euro-Norm»: Der Anteil von Älteren, Ausländern, Alleinstehenden und Alleinerziehenden nehme in allen europäischen Agglomerationen zu. In Deutschland aber sähen die Soziologen eine viel weiter fortgeschrittene Desintegration, in Frankreich oder Grossbritannien lägen die Raten der schweren Verbrechen vier- bis siebenmal so hoch. «Bei uns laufen nicht alle mit dem Messer herum», sagt Ueli Mäder.«Basel geht es noch eindrücklich gut.»

Der Soziologe hat für das Gespräch die Forschungsarbeit unterbrochen, die ihn die ganze Woche beansprucht: Er lässt sich täglich von neun bis vier von einem Bekannten die Lebensgeschichte erzählen. Der junge Mann, der in verschiedenen Heimen aufwuchs und in allen Schulen scheiterte, verlor bei einem Autounfall einen Arm; die Versicherung bot ihm dafür 120 000 Franken Abfindung an. Der Invalide schlief fünf Jahre im Obdachlosenheim der Basler Heilsarmee, büffelte tagsüber in der Unibibliothek die juristische Literatur und erstritt sich schliesslich als sein eigener Anwalt 1,2 Millionen; dafür kaufte er sich einen Bauernhof im Münstertal. Mäder sieht in ihm einen exemplarischen Fall für die Frage von Sartre, die ihn bei seiner Arbeit leitet: «Was macht der Mensch aus dem, was die Verhältnisse aus ihm machen?»

Seit Mäder 1991 die Lebenslage der Basler Armen erforschte und 2002 der Befindlichkeit der Schweizer Reichen nachspürte, ist der Soziologe der führende Experte für das Wohlstandsgefälle im Land. «In keiner anderen Stadt der Welt ist der Reichtum so verteilt wie hier», weiss er: «In normalen Städten besitzen 3 Prozent der Bevölkerung gleich viel wie die anderen 97 Prozent, in Basel hat ein halbes Prozent so viel Vermögen wie der Rest.» Zu diesen Reichsten zählen fast ausschliesslich alteingesessene Familien u2013 die Kaufmanns-Dynastien Burckhardt, Staehelin oder Vischer und vor allem die Roche-Erben Hoffmann und Oeri, die grosszügig Brot (Sozialhilfe) und Spiele (Theater, Kunstmuseen, Fussballklub) spendieren. Die neuen Vermögenden ziehen weg; aber auch ohne sie bleibt Geld genug in der Stadt, sagt Mäder. «Ich will nicht mit den Brosamen der grossen Vermögen die Leute durchfüttern», betont er zwar. Aber er will allen Baslern eine Berufslehre und eine Arbeitsstelle garantieren: «In Basel haben wir dafür Chancen wie sonst kaum irgendwo.»

Verfasst: 09.03.2006, 09:24
von Gonzo
Bunt, liberal, global

Der hagere 55-Jährige im Pullover hat die Chance gepackt, die sich ihm in dieser besonderen Stadt bot. Aus einer armen Eisenbahnerfamilie stammend, zog Ueli Mäder mit 17 in «eine der ersten verrückten Basler WGs» und gab ein anarchistisches Magazin heraus. 1971 gehörte er zu den Gründern der Progressiven Organisationen (Poch), einer klassischen Linkspartei der 68er, die nirgends so viele gute Köpfe anzog wie in Basel. 1995 machte Ueli Mäder immer noch mit, als die Poch in der BastA! aufgingen. Er führte im Kantonsparlament die gemeinsame Fraktion mit den Grünen, die heute nach der SP und der FDP die drittstärkste ist.

Einige Mitstreiter des gut gealterten Revoluzzers stiegen rechtzeitig in die etablierte SP um – und in der Basler Gesellschaft auf. Anita Fetz, die es als Kleinunternehmerin zur Ständerätin und zur Bankaufseherin brachte, bis ihr Wahlspenden-Skandal die Karriere knickte, wohnt mit ihrem Lebenspartner in einem 1,5-Millionen-Haus an schönster Lage am Kleinbasler Rheinufer. Und Willi Gerster, der sich als vormaliger Poch-Aktivist und KV-Lehrer den Verzicht auf einen Regierungssitz mit dem besser bezahlten Präsidium der Kantonalbank abgelten liess, hält sich eine hochseetaugliche Jacht auf dem Bodensee.

Ueli Mäder lebt, nachdem Kinder und Pflegekinder ausgezogen sind, mit seiner Frau in einer Drei-Zimmer-Blockwohnung. Trotzdem blieb auch er nicht ohne Einfluss: Wiederholt wollte die Universität wegen Spardrucks sein Soziologisches Institut auflösen. Das Gegenteil traf ein. Inzwischen verfügt es über den doppelten Dozentenbestand, und der Ex-Anarchist Mäder steigt im Herbst, «neimetdure verruckt», zum Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät auf. Sein Beziehungsnetz ist beeindruckend: Der frühere Nationalliga-Handballer Mäder tschüttelet ab und zu mit den Regierungsräten Christoph Eymann (LDP) und Carlo Conti (CVP). Und vom heutigen Swiss-Olympic-Chef Jörg Schild (FDP), dessen Ersatz die Basler am 19. März wählen, lernte er einst, «wie man foult, ohne dass es der Schiedsrichter merkt». Ueli Mäder sagt: «Ich liebe Basel als liberale Stadt, in der die unterschiedlichsten Menschen zusammenleben.»

Zum Beispiel Talha Ugur Camlibel. «Basel ist eine globale Stadt geworden», sagt der Türke beim Treffen im Kulturzentrum Kaserne, das sich als «Teil eines offenen, bunten Areals» versteht. Was er meint, zeigt sich in den Statistiken: In den Kleinbasler Quartieren Rosental, Matthäus und Klybeck machen die Ausländer genau die Hälfte der Bevölkerung aus, bei den Neugeborenen stellen sie in der ganzen Stadt die Mehrheit.

Ein Spaziergang über die Mittlere Rheinbrücke, mit Blick auf die Bürotürme und die Schlote von Novartis, Roche und Ciba, führt den Besucher in den sogenannt «minderen» Teil der Stadt. Von der «globalen Durchmischung» ist aber auch in Kleinbasel nicht mehr zu sehen als in jedem mittleren Provinzkaff. «McDonald’s», «Starbucks», «Dancing Copacabana» und Thai-Take-Away am Claraplatz, zwischen der Kaserne und dem Sozialamt der Cetinler-Marketi und der Hazal Dügün Salonu.

Ein Harmonikadudler, der beim Manor eingemummt im Schneetreiben kauert, ein Strassenarbeiter mit Turban, der die Abfälle aufpickt; aber kaum Frauen mit Kopftuch. Die strenggläubige Kadriye Koca-Kasan, die bei den Grossratswahlen 2004 den zweiten Ersatzplatz auf der CVP-Liste erreichte, steht nicht für alle Musliminnen der Stadt.

Verlangt Talha Ugur Camlibel von seiner Tochter, die sich auf das Gymnasium vorbereitet, dass sie sich verhüllt? Er lacht: «Ich komme aus der linken Bewegung – wir hatten keine Gelegenheit zu Beziehungen mit der Religion.» Und er erzählt in gebrochenem Hochdeutsch, immer wieder um das richtige Wort ringend, seine Geschichte. Er kommt, wie viele seiner Landsleute in Basel, aus einem mehrheitlich kurdischen Gebiet, spricht aber selber die einst verbotene Sprache nicht. Nach dem Militärputsch von 1981 musste er aus der Türkei fliehen. Der Bauingenieur ging nach Strassburg, um Französisch zu studieren, und kam 1984 nach Basel. «Raus!», brüllte ihn der Fremdenpolizeibeamte bei der ersten Anmeldung an, wie er sich amüsiert erinnert. Aber schliesslich erhielt er Asyl und bekam nach zwölf Jahren als Fabrikarbeiter bei Ciba-Geigy – «das war damals noch einfacher» – sowie nach drei Jahren Umtrieben mit der Einbürgerung den Schweizer Pass.

Staatliche Ordnung muss sein

Seither ist er Doppelbürger, wie die meisten Türken in Basel. Für wen sind seine Landsleute, wenn die Türkei gegen die Schweiz Fussball spielt? Der gewiefte Politiker, der seit zwei Jahren für die SP im Grossen Rat sitzt, drückt sich um die Antwort: «Wenn es gegen Deutschland geht, sind die türkischen Jungen für die Schweiz – das ist doch ein Zeichen der Integration.» Inzwischen geht zum dritten Mal der pompöse Klingelton seines Handys los. Was soll das sein? Die türkische Nationalhymne? Camlibel grinst: «Die Internationale.»

«In der Globalisierung verlieren die nationalen Grenzen an Bedeutung», sagt der liebenswürdige Revolutionär. Bei den Grossratswahlen sammelte er denn auch mit seinen Landsleuten – mit drei Kurden bei der SP und der Jusstudentin Sibel Arslan bei den Grünen – erfolgreich Stimmen bei allen Ausländern mit SchweizerPass: bei Tamilen, Jugoslawen, auch fundamentalistischen Sunniten aus der Türkei. «Die Ausländer in Basel bilden ein Mosaik», betont der Sozialdemokrat. «Ihre Zusammensetzung ist ganz anders als etwa in Holland: 70 Prozent leben über zehn Jahre hier und wissen, dass man sich an die staatliche Ordnung halten muss.»

Ins Arbeitsleben können sie sich allerdings immer schlechter einfügen: Bei einem Anteil von 30 Prozent an der Bevölkerung machen die Ausländer die Hälfte der Sozialfälle aus. Wie sollen sie alle eine Lehre und eine Stelle bekommen, wie es sich Ueli Mäder wünscht? Die fünf Türken im Kantonsparlament bekämpfen nur schon das Integrationsgesetz, weil danach das Land verlassen muss, wer als Ausländer keinen Sprachkurs besucht.

Verfasst: 09.03.2006, 09:25
von Gonzo
Drei Grosse für alle

Die blühende Basler Wirtschaft braucht tatsächlich Auswärtige u2013 aber eben nur jene, die sie wirklich brauchen kann: Von ihren 155000 Beschäftigten kommen 85 000 von ausserhalb der Stadt, davon 30 000 aus Deutschland oder Frankreich. Im Novartis-Campus, der an der französischen Grenze entsteht, forschen dereinst die besten Biotechnologen aus aller Welt. Die Forderung von Grossrat Camlibel, der Pharmakonzern solle 1000 der 4000 neuen Stellen Arbeitslosen aus Basel vorbehalten, betrachtete selbst seine eigene Fraktion als aussichtslos.

«Der Einzige, der Basel noch vorantreibt, ist Vasella», meint Manfred Messmer. Der stadtbekannte Kommunikator, der früher zwei Wochenblätter als Chefredaktor führte und heute Konzerne, aber auch die Basler Arbeitgeber berät, bittet zum Lunch zurück in die «Kunsthalle», neben Theater und Elisabethenkirche. In diesem Lokal trifft sich ganz Basel, im «braunen Teil» mit seinem Täfer das gemeine Volk, im «weissen Teil», der sich wie eine Galerie gibt, wer zu Tout-Bâle gehört, auch die arrivierten Linksintellektuellen und die russischen Businessmeni. Hier speist, traulich vereint, gemäss Manfred Messmer «ein Inselvolk, das mit hohem Wohlstand geschlagen ist».

In der Tat gleicht der kleine Halbkanton einer paradiesischen Insel. Seit die Stadt Basel im 19. Jahrhundert Baselland verloren hat, schliesst sich die städtische Elite eng zusammen. Was früher der Daig war, ist heute immer noch der Daig, aber ergänzt durch eine urbane linke Führungsschicht, in der wie früher im Daig jede jeden kennt. Das Geld, mit dem diese Leute Gutes tun, stammt nicht mehr aus den tiefen Schatullen der Merians und der Sarasins. «Noth und Unglück» wenden drei Weltkonzerne von Basel ab: Novartis, Roche und UBS. «Im Windschatten florierender Firmen», wie die NZZ titelte, schloss die Staatsrechnung 2005 wider Erwarten knapp positiv ab. 29 Prozent der Steuereinnahmen, ein Rekordwert, kamen von den international tätigen Unternehmen. Dank diesem Segen lassen es sich alle gut gehen, nicht zuletzt die Staatsangestellten: Von 3,9 Milliarden gab der Kanton 1,7 Milliarden für sein Personal aus u2013 in der Studie «Die Schweizer Kantone unter der Lupe» liegt Basel-Stadt mit 11,5 öffentlichen Angestellten pro 100 Einwohner (CH: 6) und Lohnkosten von 11530 Franken pro Einwohner (CH: 7147) so einsam an der Spitze wie beim Aufwand für die Sozialhilfe.

Dass so viele so gut vom Staat leben, verwundert keinen Ökonomen, denn auch die Politiker aller Parteien leben gut davon. «Staat und Gewerkschaften beherrschen den Rat», stellte die Basler Zeitung nach den letzten Parlamentswahlen fest: «Jeder dritte Stuhl im Grossen Rat ist besetzt von jemandem, der seinen Lohn direkt vom Staat, einer staatlichen Organisation oder einem staatlichen Regiebetrieb erhält.» Während andere Kantone selbst Angestellte mit kleinen Teilpensen von der Politik ausschliessen, sitzen in Basel auch hohe Beamte im Parlament: so etwa der Personalchef des Kantons (der Ex-Poch-Nationalrat Thomas Baerlocher), die Geschäftsleitungs-Sekretärin des Amtes für Wirtschaft und Arbeit, Esther Weber, oder eben der stellvertretende Verwaltungsdirektor des vom Kanton ausgehaltenen Theaters, Hanspeter Gass, der Regierungsratskandidat der FDP.

Nur 32 von 130 Ratsmitgliedern sind Selbständigerwerbende, am meisten stellt die SP. Und im Regierungsrat sitzt ein einziger Freiberufler, der grüne Justizdirektor Guy Morin, der zuvor als Hausarzt auch Sans-Papiers betreute und Invaliden zur Rente verhalf.

«Die Basler Politik leidet unter Inzucht», stellt Manfred Messmer fest. «Da es keinen Nachschub aus ländlichen Gebieten gibt und damit auch keine anderen Gesichtspunkte als die städtischen, sind es immer dieselben Leute, die in den Verbänden, in den Parteien und im Parlament das Sagen haben.» Neu ist aber ein Phänomen, das die Basler dereinst unsanft aus ihrem Schlaf der Gerechten wecken könnte: Die führenden Kräfte der Wirtschaft wohnen ausserhalb. Daniel Vasella (Novartis) am Zugersee, Franz Humer (Roche) und Marcel Ospel (UBS) am Zürichsee, ihre Kaderleute in den gepflegten Vorstädten Binningen, Bottmingen oder Frenkendorf, alle in Baselland.

«Lasst sie alleine wursteln!»


Dies nicht nur wegen der Steuern, die bei guten Einkommen um einen fünfstelligen Betrag tiefer liegen, sondern auch wegen der Schulen in der Stadt, die gemäss Manfred Messmer «einem Kind nicht zuzumuten sind». Während früher viele Manager der Chemie in Basel wohnten und in der Politik mitmachten, fehlt heute den Bürgerlichen die soziale Basis.

So kommt es zu Karrieren wie jener der früheren SP-Fraktionschefin und heutigen Finanzdirektorin Eva Herzog (44), die nach ausgedehntem Geschichtsstudium ab 34 in der Geschäftsleitung des Kulturzentrums Kaserne und mit einem Teilzeitjob in der Univerwaltung arbeitete. «In einer Fernsehsendung habe ich etwas voreilig behauptet, Frau Herzog könne keine Bilanzen lesen», spottete Manfred Messmer letztes Jahr zum 100-Tage-Jubiläum der rot-grünen Regierungsmehrheit in der Basler Zeitung. «Das ist falsch. Sie habe kürzlich einen Buchhaltungskurs an der Uni belegt, hat man mich belehrt. Ob sie Bilanzen auch interpretieren kann u2013 ich weiss es nicht.»

Das braucht die Finanzdirektorin auch nicht zu können, denn noch geht alles gut. «Bürgerliche, steigt aus der Regierung aus und betreibt aktive Oppositionspolitik!», empfiehlt allerdings ein Kritiker vor der Regierungsratswahl vom 19. März auf Online Reports, dem «unabhängigen Basler News-Portal» des Journalisten Peter Knechtli. «Lasst die Gutmenschen alleine wursteln, die Realität (Arbeitsplätze, Wegzug aus der Stadt, Steuereinnahmen etc.) wird sie garantiert einholen.»

Dazu könnte es u2013 mit oder ohne Bürgerliche im Regierungsrat u2013 schneller kommen, als die Basler ahnen. Nur der Boom bei den Steuern, vorwiegend jenen der Weltkonzerne, hat in den letzten Jahren ausgeglichene Staatsrechnungen ermöglicht, stellte das Wirtschaftswissenschaftliche Zentrum der Uni Basel kürzlich in einer Studie fest. Eigentlich leben die Basler, die mit 20464 Franken pro Kopf landesweit mit Abstand am meisten ausgeben, über ihre Verhältnisse: 200 Millionen, errechneten die Ökonomen, beträgt das strukturelle Defizit in der Staatsrechnung, also die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen in einem normalen Jahr. Dazu klafft ein Schuldenloch von zwei Milliarden im Staatshaushalt und eines von weiteren zwei Milliarden in der Pensionskasse des Staatspersonals. Die Studie mahnt: «Der schon fast spektakuläre Einnahmenzuwachs seit Ende der neunziger Jahre kann keineswegs als dauerhaft gesichert angesehen werden.» Wie lange bezahlen Novartis, Roche und UBS noch die dritthöchsten Unternehmenssteuern des Landes?

Eine kranke Stadt, wie der Wahlkampfmanager der FDP klagt? Eine hervorragende Stadt, wie der Bürgerrat der SP schwärmt? Basel mit seinem Theater, seinen Kunstmuseen und seinem Fussballklub, den üppigen Beamtenlöhnen und der grosszügigen Sozialhilfe führt den Schweizern vor, wie sich gut im geerbten Wohlstand leben lässt u2013 solange die Steuern fliessen. Wie lange noch? Für einen steht die Antwort bereits fest: «Diese Stadt ist dem Untergang geweiht», lacht Manfred Messmer. Er wohnt in Arlesheim BL.

Quelle: Weltwoche

Verfasst: 10.03.2006, 00:37
von Läggerlifreak
krankhaft geil dä Artikel ... und laider nur zu wohr...

Verfasst: 10.03.2006, 08:35
von Mendez
Gonzo hat geschrieben: in den gepflegten Vorstädten ... Frenkendorf
Han ich öppis vrpasst?

Verfasst: 10.03.2006, 11:36
von kopfwee
Gonzo hat geschrieben:... blablabla ... Quelle: Weltwoche
muess me no mee saage!

Verfasst: 10.03.2006, 12:03
von Ein Freund der Familie
kopfwee hat geschrieben:muess me no mee saage!
d wältwuche isch mit sicherheit ebis vom bestä wo de am kiosk no kaufe kasch!

und zem artikel...

kai macht dene linke träumer und ewigs gesterte, fyr e unternähmer frindlichs klima!!

gruess EFDF

Verfasst: 10.03.2006, 12:24
von kopfnuss
Binis doch aifach schtolz uff Basel

Verfasst: 10.03.2006, 12:27
von JohnHolmes
Ein Freund der Familie hat geschrieben:d wältwuche isch mit sicherheit ebis vom bestä wo de am kiosk no kaufe kasch!
Das kani nur mit eme fette : JÄWOHL!!! unterstütze!!

:D

Verfasst: 10.03.2006, 12:30
von Malko
JohnHolmes hat geschrieben:Das kani nur mit eme fette : JÄWOHL!!! unterstütze!!

:D
Aber nid im ernscht? Sit längerer Zyt het die Zytig massiv abgä!!! Dr neui Chefredaktor Wildberger isch jo voll dr Wixer!!

Frühener hanis Abo gha, aber sit 2-3 Joore kaufi se nümme.

Btw: dä Artikel isch aber nid emol so schlecht

Verfasst: 10.03.2006, 12:32
von Rankhof
d Wätwuche wächslet all paar Johr vo SP-Zusatzmanifest zu SVP-Buurezytig. Kanis se nym wirkli ärnscht neh...

Verfasst: 10.03.2006, 12:35
von JohnHolmes
[quote="Malko"]Frühener hanis Abo gha, aber sit 2-3 Joore kaufi se nümme[quote]

Worum den nüm??

Verfasst: 10.03.2006, 13:35
von Malko
JohnHolmes hat geschrieben:
Malko hat geschrieben:Frühener hanis Abo gha, aber sit 2-3 Joore kaufi se nümme
Worum den nüm??
Mir fehlt d'objektivität. Ich weiss frühner isch si eher links gsi. Aber jetzt isch si nur no polemisch. Die ganze pro Amerika und pro SVP Artikel muess ich nid wirkligg läse.

Jetzt lies halt d'NZZ am Sunntig oder d'Sunntigszytig.

BTW: au s'BaZ Abo hani kündet. Aber das ka sich jede selber usmole worum ;)

Verfasst: 10.03.2006, 13:49
von Gonzo
Malko hat geschrieben:
JohnHolmes hat geschrieben:
Malko hat geschrieben:Mir fehlt d'objektivität. Ich weiss frühner isch si eher links gsi. Aber jetzt isch si nur no polemisch. Die ganze pro Amerika und pro SVP Artikel muess ich nid wirkligg läse.
Obwohl ich mi ab und zue au nid ka mit de Standpünkt vo dr Weltwuche identifiziere, bini doch dr Meinig dass sie Ihrer Linie die aktuelle Theme vomene andere Gsichtspunkt a z'luege treu blibe isch...

Und wenn halt dr ganzi Mediezirkus ins Anti-Amerikanische und SVP-feindliche Rohr ine bloost, denn chömme si au dört ihrem Kredo noch! Das mag nid immer ganz objektiv si, aber diehnt em Verständnis vo dr Sach sicher mehr, als d'Asammlig vo Reuters-Meldige in dr BaZ z'lese...

Mi Meinig

Verfasst: 10.03.2006, 13:50
von Gonzo
Malko hat geschrieben:Mir fehlt d'objektivität. Ich weiss frühner isch si eher links gsi. Aber jetzt isch si nur no polemisch. Die ganze pro Amerika und pro SVP Artikel muess ich nid wirkligg läse.

Obwohl ich mi ab und zue au nid ka mit de Standpünkt vo dr Weltwuche identifiziere, bini doch dr Meinig dass sie Ihrer Linie die aktuelle Theme vomene andere Gsichtspunkt a z'luege treu blibe isch...

Und wenn halt dr ganzi Mediezirkus ins Anti-Amerikanische und SVP-feindliche Rohr ine bloost, denn chömme si au dört ihrem Kredo noch! Das mag nid immer ganz objektiv si, aber diehnt em Verständnis vo dr Sach sicher mehr, als d'Asammlig vo Reuters-Meldige in dr BaZ z'lese...

Mi Meinig

Verfasst: 10.03.2006, 14:43
von Stanislaw
die WW gleitet langsam aber sicher in eine ganz unglaubliche Richtung.....interessant...

Verfasst: 10.03.2006, 22:40
von gruusigeSiech
Seit dem Köppel nicht mehr auf dem Chefredakteursessel sitzt, ist auch flugs die penetrante SVP-lastigkeit aus der Weltwoche verschwunden. Statt dessen wird lebhaft aus verschiedenen Blickwinkeln debattiert. Es macht echt wieder Spass, die Weltwoche zu lesen.

Vor drei Wochen beispielsweise gab es einen wunderbaren Artikel, warum noch kein SVP-Politiker in eine Stadt-Exekutive gewählt wurde. Die SVP, so der Artikel, missgönne den Städtern ihre Stadt, auch wenn sie selbst in einer leben würden. Ein Woche später fand sich in der Weltwoche ein Leserbrief eines SVP-Jüngers, der sich über die negative Berichterstattung über seine Partei beschwerte. Köstlich!

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