Interview: Marc Krebs, Roland Schmid (Fotos)
Albert Hofmann spricht über seine Skepsis gegenüber dem technologischen Fortschritt, seinen letzten LSD-Trip und über die mögliche Anwendung seiner Substanz in der Sterbehilfe.
baz: Doktor Hofmann, vielen Dank, dass Sie sich kurz vor Ihrem Geburtstag Zeit für uns nehmen. Haben Sie viele Interviewanfragen bekommen?
Albert Hofmann: Ja, aber nur wenige zugesagt. Ich bin sehr wählerisch geworden. Morgen kommen noch zwei Amerikaner von der «New York Times» hierher.
Wie beginnen Sie Ihren Tag?
Ich stehe um sieben Uhr auf, setze mich auf ein Mäuerchen, versenke mich in die Landschaft und schaue, wie der Tag kommt. Schaue in den Wald, in die Wiese, versuche nichts zu denken. Das ist meine Art der Meditation, eine Viertelstunde lang. Ich versuche von mir wegzukommen, indem ich mich in die Natur in meinem kleinen Königreich hineindenke.
Wenn Sie von einem Königreich sprechen - wie viele ungeladene Gäste tauchen auf Ihrem Hof auf?
Wenige. Kürzlich rief einer nachts um zehn an und sagte, er sei von Berlin mit dem Velo angereist. Ein Student, der nicht angemeldet war. Ich habe ihn nicht empfangen, im Gegensatz zu den drei jungen Italienern, die ebenfalls eines Tages vor der Haustür standen, dahinter ein Mann aus Burg. Ich wohne so abgelegen, da fragen Besucher im Dorf immer nach dem Weg. Wenn diese merkwürdig erscheinen, dann geht stets einer aus der Gemeinde mit, quasi als meine Leibgarde.
Und was wollten die jungen Italiener?
Die waren aus Turin gekommen, fragten mich, ob ich Alberto sei und zückten begeistert ihre Fotoapparate. Sie wollten einfach mit Alberto auf einem Bild sein.
Sie sind der einzige 99-jährige Popstar, den ich kenne.
(Lacht) Ja, das mag sein.
Kommen die Leute oft zu Ihnen auf der Suche nach Antworten?
Ja, die meisten denken, dass ich etwas Gescheites sagen könnte. Studentinnen, Studenten, Leute mit Problemen, aber auch ältere Menschen besuchen mich hier. Ernst Beyeler, der Kunstsammler, tauchte kürzlich auf und fragte mich detailliert über meine Lebensweise aus:«Stimmt es, dass Sie jeden Tag ein rohes Ei essen?» Worauf ich antwortete: Nein. Zwei! (lacht)
Wollte Herr Beyeler herausfinden, was uns alle interessiert? Wie man 100 Jahre alt wird und so wach und erfüllt ist wie Sie?
Das sicher auch, ja. Er kam beim zweiten Mal mit einer Architektin vorbei und wollte dieser mein Haus und die Wohnlage zeigen. So nah bei der Stadt und doch so abgelegen. Hinter uns der Wald, vor uns die Vogesen und so ruhig, dass man die Stille hört. Herr Beyeler wird an meinem Geburtstag auch eine Laudatio halten.
Am Wochenende findet dann der Kongress mit über 1000 Teilnehmern zum Thema LSD statt. Ehrt Sie das?
Natürlich. Ich habe ja nichts organisiert, dieser ganze Kongress wurde von Freunden auf die Beine gestellt. Ich weiss nur nicht, woher ich die Zeit nehmen soll, um mit allen Leuten zu sprechen.
Sie managen sich selber?
Ja. In den letzten Tagen habe ich zum ersten Mal seit meiner Pensionierung gedacht, dass es angenehm wäre, eine Sekretärin zu haben. Weil so viele etwas von mir wollen. Bis jetzt konnte ich alle Briefe und Anrufe gut bewältigen.
Sind Sie der Beweis dafür, dass LSD nicht nur das Bewusstsein, sondern auch die Lebenserwartung erweitert?
Um das zu beantworten, müsste ich zwei Leben führen:eines mit und eines ohne LSD. Aber ich bin mir selbst ein Rätsel. In der Verwandtschaft wurde niemand alt, ich kannte keinen Grossvater, keine Grossmutter. Ich bin eine Ausnahme.
Denken Sie, dass Ihnen LSD diesbezüglich etwas geschenkt hat?
Grundsätzlich geprägt hat mich ein Erlebnis in meiner Kindheit, als ich an einem Mai-Tag in meiner Heimatstadt Baden durch den Wald schlenderte. Und die Natur, die ganze Umgebung auf einmal anders wahrnahm, mich eins mit ihr fühlte und das Wunder der Schöpfung für mich entdeckte: Die liegt in der Natur, nicht in den Maschinen.LSD passte gut zu dieser Weltanschauung, zu dieser Geborgenheit in der Natur.
Hatten Sie nie das Gefühl, dass Sie von drogenfreundlichen Kreisen instrumentalisiert wurden? Seht her, selbst Albert Hofmann, der gewissenhafte Wissenschaftler, ist für die Liberalisierung!
Nein, ich war nie für die Liberalisierung, aber für die Legalisierung Mir war von Anfang an klar, dass LSDnicht für den Massenkonsum gedacht ist. Ich habe es auch nie jemandem aufgeschwatzt. Die Möglichkeiten in der Psychiatrie und in der Medizin sind hochinteressant.
Sie gehören zu den wenigen Chemikern, deren Name branchenfremden Menschen rund um den Globus bekannt ist. Haben Sie viel Neid dafür erfahren?
Ich weiss es nicht. Schon möglich, dass manche Chemiker neidisch waren, das sind ja auch Menschen.
Stört es Sie, dass ihr lebenslanger Arbeitgeber Sandoz, heute Novartis, sich nicht am Symposium beteiligt?
Nein, Herr Vasella macht sogar eine eigene Feier für mich. Am 8. Februar.
Hat sich Sandoz von LSD distanziert?
Am Anfang schon. Herr Professor Stoll sagte zu mir: «Herr Doktor, es wäre mir lieb, Sie hätten das LSDnie erfunden.»
Warum?
Weil LSD von einem Wunderkind zu einer Satansdroge verkam, worauf Sandoz seine Produktion einstellen musste. Die Einstellung von Sandoz zu LSD hat sich aber inzwischen positiv geändert.
Wie reagierte Ihre Frau, Mutter von vier Kindern, auf Ihre Selbstversuche?
Sie machte sich sicher Sorgen, aber sie musste akzeptieren, dass das Forschen mein Beruf war. Meine Kinder fanden, dass der Vater etwas Verrücktes mache. Sie haben sich relativ wenig dafür interessiert. Ich konnte ihnen über meinen Alltag als Chemiker auch nicht viel erzählen. Meine Frau begleitete mich einmal auf einer Expedition nach Mexiko, wo ich Zauberpilze erforschen wollte. Dort hat sie zwei Versuche mitgemacht: mit Pilzen und mit Ololiuqui, einem Samen von Windengewächsen, den die Azteken für magische Heilpraktiken verwendet haben.
Hat Sie Ihre Frau danach besser verstanden?
Ja, schon. Aber keines meiner Kinder hat mich je gefragt, ob es auch einmal an einem Experiment teilnehmen könnte. Mein Sohn sprach lange Zeit abschätzig über LSD. Jetzt hat er erstmals Interesse gezeigt, nach 67Jahren…
Hat Sie das Desinteresse Ihrer Kinder gestört?
Nein, das ist doch oft so, dass der Beruf des Vaters in der Familie auf wenig Interesse stösst. Schriftsteller hatten am wenigsten Verständnis zu Hause. Spitteler sagte mal, man täusche sich, wenn man glaube, dass die Denker zu Hause besonders glücklich seien. Denn dort würden sie als ganz gewöhnliche Menschen wahrgenommen.
Aber war das Forschen für Sie nicht mehr als nur Beruf. Ein Lebenswerk?
Das hat sich so ergeben. Man hängt mich ja immer an diesem LSDauf. Ich habe auch andere Präparate entdeckt, die heute noch von Bedeutung sind: Methergin, das in der Gynäkologie eingesetzt wird, um Nachgeburtsblutungen zu verhindern, das Geriatricum Hydergin oder das Kreislaufpräparat Dehydergot.
Nun gehören Sie zu den wenigen Menschen, die 100 Jahre Weltgeschichte mit eigenen Augen verfolgt haben. Von welchem Ereignis wünschten Sie sich, dass es nur eine Wahnvorstellung, ein Horrortrip, gewesen wäre?
Ganz allgemein: Der technische Fortschritt verwandelt sich in meinen Augen in einen Horrortrip. Ich erinnere mich, wie mir bei einem Spaziergang in den 1970er Jahren ein Bekannter begegnete und sagte, dass man Kino nun auch zu Hause haben könne. Da dachte ich: Herrgott, auch das noch. Wir vereinsamen und entfernen uns immer stärker von der Natur.
Ich dachte, Sie würden auf meine Frage mit dem 2. Weltkrieg antworten.
Der technische Fortschritt steht doch auch in engem Zusammenhang mit Kriegen. Denken wir nur daran, wie Einsteins Wissen missbraucht und die Atombombe entwickelt wurde. Dass so viele Länder heute diese Bombe haben, macht mir Angst. Das einzig Positive, das ich der Globalisierung abgewinnen kann, ist die Möglichkeit, dass ein funktionierender Völkerbund entstehen könnte, wie dies Einstein seinerzeit dringend verlangte. Es wird Zeit, dass wir Menschen merken, dass wir uns nur technologisch weiterentwickelt haben.
Helfen Sie mir, eine Hitparade zu erstellen: Was ist die wichtigste Entdeckung der letzten 100 Jahre?
LSD. Nein, warten Sie, nicht LSD. Das Telefon. Das ist etwas vom wichtigsten, was uns die Technisierung gebracht hat. Alles andere brauche ich nicht, Computer, Internet, das bringt die Menschen nicht so zusammen wie das Telefon.