Bierathlet hat geschrieben: 07.02.2023, 08:20
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Nach Todesfall in Basler Wohnung Hauseigentümer Linder will anständig renovieren – aber «es lohnt sich nicht»
Ein neues Gesetz sorgt für viel Unsicherheit in Basel-Stadt: Ein Vermieter im Klybeck hadert mit der strengen Wohnpolitik im Kanton.
Katrin Hauser
Publiziert heute um 07:00 Uhr
An der Stelle, an dem der Mieter verstorben ist, hat Linder bereits mit der Renovation begonnen.
Ein eigenartiger, chemischer Geruch hängt in der Luft. Die Räume der Dreizimmerwohnung im Klybeckquartier, einem finanziell schwachen Viertel im Kanton Basel-Stadt, sind stark in die Jahre gekommen. Vergilbte Wände, Furchen im Boden und braune Flecken am Dampfabzug zeugen davon, dass zu dieser Wohnung nicht gerade viel Sorge getragen worden ist. Dass sie dringend eine Renovation nötig hat.
Und genau das hat Karl Linder, der Vermieter der Wohnung, eigentlich auch vor. Aber ein neues Gesetz hält ihn zurück.
Seine Situation zeigt auf, wie Kleinvermieter mit dem jüngsten Ja der basel-städtischen Bevölkerung zu einer strengeren Wohnpolitik hadern.
Eine Geschichte in fünf Kapiteln.
Der Todesfall
Sie beginnt ungewöhnlich, diese Geschichte, ja tragisch gar: mit einem Todesfall.
Einer der Mieter im Haus von Karl Linder stirbt im Herbst 2022 eines natürlichen Todes. Der Mann lebt eher zurückgezogen. Sein Ableben fällt 16 Tage lang niemandem auf, bis die Nachbarn die Polizei rufen, weil sie einen seltsamen Geruch wahrnehmen.
Sie informieren auch Linder. Zunächst darf er noch nicht in die Wohnung. Die Beamten brauchen eine Weile, bis sie sicher sind, dass der Mann auch tatsächlich eines natürlichen Todes gestorben ist.
Der menschlichen Tragik des einsamen Todes stehen geradezu banale, praktische Probleme gegenüber, um die sich ein Vermieter in einer solchen Situation kümmern muss. «Dadurch, dass der Leichnam so lange in der Wohnung gelegen hat, haben der Boden und auch eine Wand starke Schäden genommen», erklärt Linder.
Er ruft den Tatortreiniger zur Hilfe. Dieser behandelt die betroffenen Stellen mit einem stark riechenden Mittel, das nicht nur die organischen Verunreinigungen beseitigt, sondern auch Ungeziefer abtötet. Das ist nötig: Hunderte von Fliegen, vom Leichnam angelockt, haben sich im ganzen Haus eingenistet.
Nachdem der «Tatort» gereinigt ist, lässt Linder zwei Handwerker kommen, die das Loch im Parkettboden auffüllen, den Balken und die kontaminierte Gipswand ersetzen.
«Und jetzt kommt der Witz an der Sache», sagt Linder. «Ich hätte das nämlich gar nicht tun dürfen. Das ist nämlich bereits der Beginn einer Renovation, die zuerst von der Basler Wohnschutzkommission abgesegnet werden müsste.»
Die Kommission, die nicht tagt
Im November 2021 hat die Bevölkerung Ja zum «echten Wohnschutz» gesagt und sich somit für eine strengere Politik gegenüber Vermietern ausgesprochen. Die Idee dahinter: sogenannte Renditesanierungen – Renovationen, die in erster Linie dazu dienen, die Miete stark zu erhöhen – zu verhindern.
Sanierungsvorhaben müssen neuerdings zunächst von einer Art Wächter über den Basler Wohnschutz gesichtet werden: der Wohnschutzkommission. Diese Kommission sollte offiziell ab Ende Mai 2022, als das neue Gesetz in Kraft tritt, existieren.
Ein Gasherd, alte Plättchen und kein Geschirrspüler: Seit der letzten grossen Renovation der Dreizimmerwohnung im Klybeck sind mehrere Jahrzehnte ins Land gegangen.
Foto: Pino Covino
Als Karl Linder ganze fünf Monate später bei der telefonischen Auskunft zu Wohnschutzfragen in Basel-Stadt anruft, heisst es allerdings: Diese Kommission hat noch gar nicht getagt.
«Das hat mich schon etwas irritiert.» Tatsächlich wird die erste Sitzung dieser Kommission erst Ende November stattfinden. Der Grund: Es seien kaum Gesuche eingegangen. Ausserdem gab es einen Streit darüber, wer in der Kommission sitzen darf. Immerhin hat man bereits früh eine Wohnschutz-Sprechstunde für Vermieter eingerichtet, deren Angestellte auf Linder bemüht und kompetent wirken.
Der Jurist am Telefon habe ihm erklärt, dass «ich erst mit der Renovation beginnen darf, wenn die Kommission meine Pläne begutachtet hat». Nur: Die Kommission hat zu diesem Zeitpunkt noch nicht eine einzige Sitzung abgehalten. Und: In Linders Wohnung sind eine Wand und ein Teil des Bodens kontaminiert.
Soll er dies etwa einfach so lassen?
Elena Hermann von der staatlichen Stelle für Mietstreitigkeiten in Basel-Stadt verneint. Zu konkreten Fällen dürfe sie sich zwar nicht äussern. Allgemein lasse sich jedoch sagen, dass zwar sämtliche Renovationsvorhaben bewilligungspflichtig seien, nicht aber die Beseitigung eines einzelnen Schadens. «In diesem Fall handelt der betreffende Hauseigentümer also gesetzeskonform.»
Die Renovation
Darüber ist Linder erleichtert, wobei er sich fragt: «Was ist mit den Wänden, die durch zwölf Jahre überdauerndes, unerlaubtes Rauchen beschädigt worden sind? Darf ich damit auch schon anfangen?»
Linders grösster Frust ist ohnehin, dass er gerne ordentlich renovieren würde, sich das für ihn «aber nicht lohnt». Laut Handwerker kostet ihn die Renovation etwa 80’000 bis 90’000 Franken. Danach möchte er die Miete um 180 Franken im Monat erhöhen.
In der Wohnschutz-Sprechstunde habe man ihm mitgeteilt, dass er für die renovierte Wohnung nur geschätzte 75 Franken mehr im Monat verlangen dürfe – dies als eine Art Richtwert.
Diese Information sollte so offenbar nicht rausgehen. Laut Kanton werden in den Wohnschutz-Sprechstunden nämlich «keine Aussagen zur konkreten Höhe von möglichen Mietzinserhöhungen gemacht». Die «rund 75 Franken» allerdings haben durchaus Hand und Fuss: Der Kanton hat auf seiner Website selbst ein Wohnschutzbeispiel publiziert, in dem von einer «überwälzbaren Investition» von 80’000 Franken die Rede ist und der Vermieter letztlich 77 Franken aufschlagen darf. Linder rechnet aus, dass er mehr als 80 Jahre brauchen würde, bis das Geld für die Investition wieder zurückgezahlt wäre.
Dazu eine kurze Einordnung, wo Linders Dreizimmerwohnung preislich liegt: Momentan kostet sie 1065 Franken netto pro Monat. Damit liegt sie unter dem Mittelwert für Dreizimmerwohnungen im Klybeck (1172 Franken). Mit Linders gewünschter Mietzinserhöhung käme sie bei 1245 Franken, also leicht über dem Durchschnitt, zu liegen.
Nun ist es nicht so, dass es Linder in den Ruin treiben würde, wenn er die Miete nur um 75 Franken erhöhen dürfte. Vermieter müssen einen Teil ihrer Einnahmen für Renovationen zurücklegen, und Linder gibt an, das auch gemacht zu haben. «Als Vermieter hat man aber auch noch andere Kosten wie etwa Hypothekarzinsen oder Arbeiten im Garten. Auch würde ich zum Beispiel gerne eine Solaranlage aufs Dach bauen.»
Zudem seien unerwartete Kosten in der Höhe von mehreren Tausend Franken auf ihn zugekommen mit der Tatortreinigung und Wohnungsräumung. Das alles nimmt Linder so hin. Was ihn ärgert, ist, dass es sich bei den strengen Wohnschutzvorgaben für ihn nicht lohnt, die Wohnung schön zu renovieren.
Gerne würde er nämlich die vergilbten Einbauschränke und die Wandtäfelung in der Küche herausreissen und ersetzen, die Böden in Wohn- und Schlafzimmer mit neuem Parkett ausstatten. Das Bad möchte er vergrössern und modernen Standards anpassen. Ebenso die Küche. «Die Leute erwarten das heutzutage – auch Leute, die nicht so viel verdienen.»
Hier war einst nur ein Lavabo: Das Badezimmer hat Linders Vater vor vielen Jahren noch selbst renoviert.
Foto: Pino Covino
Was Linder ebenfalls nicht versteht, ist, was man bei der Wohnschutzkommission eigentlich genau unter «ökologischen Sanierungsmassnahmen» verstehe. Das ist nämlich so etwas wie der grüne Bonus im neuen Gesetz: Bei ökologischen Sanierungen darf der Vermieter mehr an Miete aufschlagen. «Es gibt aber nicht so etwas wie einen Massnahmenkatalog, wo man sieht, was alles als ‹ökologisch› verbucht werden kann.»
Alles sei so ungewiss unter diesem neuen Wohnschutzgesetz.
Linder war von Beginn weg ein Gegner. Er sitzt im Vorstand der Basler Grünliberalen, die die Nein-Parole zur Initiative beschlossen haben. Und letztlich sei es genau so gekommen, wie er es befürchtet habe: Die neuen Vorschriften würden jene Vermieter strafen, die sich in der Vergangenheit immer fair verhalten hätten. «Meine Eltern waren einfach zu nett, um die Mieten auf Niveau der Nachbarhäuser zu erhöhen.»
Das Haus
Linders Eltern, die inzwischen verstorben sind, haben das Haus im Klybeck in den 1970er-Jahren gekauft. Und so wie der Sohn spricht, ist es von Beginn weg ihr ganzer Stolz. «Mein Vater hat die Wohnungen selbst umgebaut. Früher stand in der Küche ein riesiger Schüttstein und im Bad nur ein Lavabo, wo man sich waschen konnte. Viel Eigenarbeit steckt in diesem Haus.»
Reich sind seine Eltern nicht. Die Linders, eine klassische Arbeiterfamilie, wohnen nicht etwa in einem Anwesen auf dem Bruderholz, sondern in der Wohnung im ersten Stock des gekauften Mehrfamilienhauses. Karl Linder und sein Bruder teilen sich ab dem Jugendalter das Dachgeschoss. Die Eltern sind ihr Leben lang damit beschäftigt, das Haus zu unterhalten, erzählt Linder heute. Wenn es finanziell eng gewesen ist, hat die Mutter sogar jeweils noch in der Saffere-Zunft bei Banketten ausgeholfen. «Me schafft fürs Huus», hat sie zu sagen gepflegt.
Profit hätten die Eltern mit den Mieten nicht wirklich gemacht. «Vor kurzem habe ich Mietverträge von vor 50 Jahren gesehen. Da zahlte man für eine solche Wohnung noch 518.60 Franken im Monat.»
Natürlich ist das inzwischen anders, und er und sein Bruder haben auch von den Mieteinnahmen profitiert. «Aber nicht so, dass 80’000 Franken einfach ein Klacks sind.»
Die Folgen
Das hat spürbare Konsequenzen. Linder will nur das Nötigste an der Wohnung machen: «Wir ziehen vielleicht selbst ein Obi-Parkett über die Böden. An den Wänden muss ich auch dringend etwas machen. Da reicht es nicht, einmal drüberzustreichen, da müssen die Tapeten herunter.» Vielleicht habe er ja Glück, und die Versicherung des Mieters zahle, weil die Wände auch unerlaubterweise übermalt worden sind. «Einen Geschirrspüler werde ich auch einbauen. Das ist heutzutage ein Muss.»
Ein moderneres Bad und eine schönere Küche: Die wird es jedoch kaum geben. Mit der richtigen Renovation wird Karl Linder warten, bis «wieder etwas mehr Vernunft in die Wohnpolitik von Basel-Stadt einkehrt».
Lesen Sie dazu morgen: Was sagt der Basler Mieterverband als Urheber der Wohnschutzinitiative zur Situation von Karl Linder? Und: Wie reagieren Politiker und Behörden?