Lusti hat geschrieben:Ich als mitte Rechts bin auch gegen dieses alte Geschlechtsbild. Somit wäre dieses Anliegen eigentlich mehrheitsfähig! Oben vergleichst du aber Äpfel mit Birnen:
Ich wohne in Steffisburg, das ist nahe an Interlaken, einem internationalen Touristenort. So sehe ich auf der Seepromenade aktuell täglich Frauen welche eine Burka anhaben. Nebendran läuft dann der Göttergatte in kurzen Hosen und Poloshirt, ein ziemlicher Kontrast der eben auch ein Rollenmodell widergibt. Wiederum gibt es keinen progressiven islamischen Staat, der Frauen dieselben Recht einräumt wie Männern. Flaggschiff war die Türkei, auch deshalb weil Atatürk sakulär war und selbst den Islam als "Hirtenreligion" bezeichnet hat. Es geht demzufolge nicht um eine "Bevölkerung" im Sinne von Einwohner.
Es wäre schön, wenn irgendwann einmal ein islamischer Staat die Lektion der Egalität begreifen würde. Bis dahin ist es aber so, dass die Burka für einen rückständigen Islam steht, für die Trennung der Gesellschaft in Ober- und Untermenschen alleine begründet auf deren XX und XY Chromosomen. Es ist nicht unsere Aufgabe in diesen Staaten für Egalität zu sorgen, dass ist deren Hoheitsgebiet, deren Gesetze, deren Kultur und Gesellschaft. Wir verbieten ja nicht das Tragen von religiöser Kleidung, auch unsere Nonnen tragen ein "Kopftuch". Wir verbieten lediglich das Tragen einer Burka, dem in Mode gegossenen Ausdruck einer archaischen Weltanschauung. Wir verbieten ja auch die Vermummung im festen Glauben daran, dass sich ein Teilnehmer einer Demonstration nicht unkenntlich machen muss. Denn seine Rechte als Individuum sind durch die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit in der Verfassung verankert. Unsere Kultur gründet auf Gleichstellung oder dem Erstreben derer. Wir wollen einander begegnen und wir wollen dies von Angesicht zu Angesicht tun. Somit verstehe ich das Burkaverbot nicht als Angriff auf den Islam sondern als Ausdruck unserer egalitären Grundwerte.
Nur damit wir uns richtig verstehen. Mit dem "Ich als Linker", wollte ich nur auf Ibizas Post antworten, und ihm darstellen, weshalb für mich ein Burkaverbot in der Schweiz nichts bis sehr wenig mit Emanzipation zu tun hat. Ich wollte damit nicht sagen, dass dies ein ausschliesslich linkes Weltbild ist. Die Frauenbewegung war auch, anders als die Arbeiterbewegung, keine ausschlieslich sozialistische Bewegung, mit dem Klassenkampf "Bürgertum" gegen "Proletarier". Die Frauenbewegung war keinesfalls nur ein Kampf gegen das Bürgertum (ausser bei den sozialistischen Frauenbewegungen), sondern auch ein Kampf eines säkular-freisinnigen Bürgertums gegen christliche Menschenbilder.
Jetzt zum eigentlichen Inhalt deines Postings. Ich verstehe deinen Punkt und kann deine Argumentation gut nachvollziehen. Für mich steht aber der Nutzen eines Gesetzes in der Schweiz, welche die Vollverschleierung verbietet in keinem Verhältnis dazu, welche negativen Folgen die Politik der SVP mit sich führt. Die Islam-Kampagnen der SVP polarisieren und spalten unsere Gesellschaft und sind somit hinderlich für den interreligiösen Frieden. Und das in der Schweiz interreligiöser Frieden herrscht ist für mich zurzeit akuter als, dass wir eine Herrschaar von Frauen von der Verschleierung befreien müssen.
Im Gegensatz dazu, was die SVP von sich selber behauptet, dass sie die einzige Partei wäre, welche die Probleme anspricht, behaupte ich, die Islam-Kampagnen der SVP, machen Politik, welche die Integration der Muslime erschweren und verursacht so überhaupt Probleme, welche sie meint bekämpfen zu müssen.
Die aktuellen Verhältnisse in der Schweiz rechtfertigen meiner Meinung nach ein solches Gesetz nicht, auch wenn ich mit dem Inhalt und dem Ziel, welches ein solches Gesetz beinhaltet im Grunde einverstanden bin.
Und wenn eine in der Schweiz wohnhafte Frau effektiv gezwungen wird, ein Niqab zu tragen, bin ich der Meinung, dass wir bislang über die Behörden und Gesetze verfügen sollten, die so etwas verhindern und sanktionieren. Und wie gesagt, wenn eine Frau, geboren oder aufgewachsen in der Schweiz, aus freien Stücken entscheidet, mit einem Zelt in der Öffentlichkeit rumzulaufen, dann finde ich das zwar bedenklich, aber muss nicht staatlich bekämpft werden, nur die Zwangsverschleierung, sollte bekämpft werden.
Lusti hat geschrieben:
100% deiner Meinung. Du als "Linker" siehst du Begründung in der sozialen Gleichstellung, in der Chance auch für Familien mit geringem Einkommen. Ich als "mitte Rechter" sehe die Begründung in der Anpassung der Wirtschaft an eine bereits bestehende Realität. Die Wirtschaftsverbände und die Wirtschaftsparteien machen hier einen eklatanten Denkfehler: Schaffen wir Krippenplätze nach dem skadinavischen Modell (es gibt für jedes Kind einen, und gibt es keinen, so wird er geschaffen). Die Kosten trägt der Staat finanziert über Steuern. Das ist die Investition die geleistet werden muss. Der Gewinn rechnet sich in qualifizierten und flexiblen Arbeitnehmern die auf dem Markt zur Verfügung stehen. Für Grossfirmen ist die Bildung von Krippenplätzen intern kein Problem. Aber das KMU kann das nicht stemmen. Wir dies aber durch den Staat geregelt, so stehen dem KMU, dem Mittelstand, dem Lebensnerv der schweizer Wirtschaft plötzlich diese Arbeitnehmer zur Verfügung. Wer behauptet dass solch ein System kein Return on Investent im Bereich der Wirtschaft, sozialen Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Integrität hat, kann einfach nicht rechnen!
Meine primäre Motivation, ist wie du richtig erwähnt hast, die soziale Gleichstellung. Als Linker (ich verspreche, das ist das Letze mal, dass ich diese Phrase gebrauche

), möchte ich aber nicht vor wirtschaftspolitischen Überlegungen halt machen, im Gegenteil ich sehe es als meine Aufgabe an, dass man dieses Thema nicht nur der rechten Seite überlassen darf (genauso wie das Militär übrigens, wir brauchen endlich mal einen Linken, der das VBS übernimmt

). Ich teile deine Überlegungen komplett, dass die Politik, der wirtschaftlichen Realität auf beiden Seiten, auf der Arbeiter-, wie auch der Unternehmerseite, komplett hinterherhinkt, sowie auch die Ansicht, dass eine entsprechende Politik, wie du sie beschreibst, wirtschafts-, aber auch sozialpolitisch förderlich ist.
Edit:
PS: Wir dürfen bei der ganzen Debatte rund um dem Islam in der Schweiz nicht vergessen, wer wir sind und vor allem unsere liberalen Grundsätze hochhalten.
Bestes jüngstes Beispiel, das Handschüttel-Fiasko. Seitdem diese beiden Jugendlichen der Lehrerin nicht die Hand reichen wollten, habe ich das Gefühl dass uns medial vermittelt wird, als ab der Schüler-Lehrer-Handschlag eine der wichtigsten Schweizer Tugenden sei. Ich habe meinen Lehrern in fünf Jahren Gym nie die Hand gereicht, mit der Ausnahme, als mir das Matura-Zeugnis überreicht wurde. Und was macht eine SVP-Politikerin....der Rest ist Geschichte.