Verfasst: 29.04.2005, 13:51
BaZ, 29.4.05
«Ich hatte noch nicht einen Tag das Gefühl, am falschen Ort zu sein»
Der Schweizer Eishockey-Nationalcoach Ralph Krueger steht vor seiner achten WM
INTERVIEW: OLIVER GUT, Wien
Spieler kamen und gingen u2013 der Kanadier mit deutschem Pass blieb: Ralph Krueger erlebte als Schweizer Nationaltrainer erst Höhen, dann Tiefen, erreichte zuletzt zweimal die WM-Viertelfinals und schaffte im Februar die Olympia-Qualifikation.
Diese jüngsten Resultate will Ralph Krueger ab Sonntag bestätigen, wenn die Schweiz in Wien mit der Partie gegen Tschechien (16.15 Uhr, SF2 live) in die WM in Österreich startet. Danach gilt es, sich Gedanken um die Zukunft zu machen: Der Vertrag zwischen dem 45-jährigen Cheftrainer und dem Schweizerischen Eishockeyverband (SEHV) läuft nach der WM 2006 aus.
Ralph Krueger im baz-Interview.
Ralph Krueger, in Wien kündigt sich durch den NHL-Lockout eine WM der Superlative an. Was ist grösser: Die Freude auf das Ereignis oder die Angst, die Ziele in Anbetracht der Konkurrenz zu verpassen?
Ganz klar die Freude. Ich glaube, dass die Besetzung dieser Titelkämpfe überbewertet wird, denn die Weltmeisterschaft hat zuletzt stets viele bekannte Namen angezogen. Die grossen Nationen bleiben gross, die direkten Gegner bleiben die direkten Gegner.
Also bleiben auch die Ziele gleich?
Keine Frage: Wir wollen wieder zu dieser Mittelgruppe zwischen den Rängen 8 und 14 gehören. Wie eng die Teams da beieinander liegen, haben wir in den Testspielen gegen Weissrussland gesehen. Schaffen wir diesen ersten Schritt, werden wir alles für die Überraschung tun.
In der Vorrunde spielen Sie gegen Tschechien, Kasachstan und Deutschland. Wie schätzen Sie diese Gegner ein?
Tschechien ist für mich ein Turnierfavorit. Dieses Team hat sich im vergangenen Jahr an der Heim-WM blamiert. Daraus schöpfen die Spieler grosse Motivation. Um gegen Tschechien zu punkten, müssen wir perfekt sein. Kasachstan und Deutschland sehe ich im Paket. Das werden schwierige Spiele, bei denen mentale Stärke gefragt ist. Beide Teams sind defensiv und physisch stark. Beim alten Duell mit Deutschland stehen die Chancen immer 50:50, die Kasachen haben sich wie wir für Olympia qualifiziert. Sie bringen viel mehr Kilos auf die Waage als wir, doch in dieser Partie wird es trotzdem vor allem um uns gehen: Spielen wir gut, schlagen wir diesen Gegner.
Bei den Deutschen fehlen mit Goalie Olaf Kölzig oder Marco Sturm bekannte Namen. Macht das die Aufgabe leichter?
Nein. In diesem Vergleich geht es stets um das Team als Ganzes, die Gruppendynamik. Das ist entscheidend. Ein Sturm oder Kölzig mehr oder weniger macht da nicht viel aus.
Was ist die grösste Qualität des momentanen Schweizer Kaders?
Die Bereitschaft jedes Einzelnen, für diese Gruppe alles zu geben. Das war nicht immer so. Für mich ist das ein Genuss, weil ich das nicht als selbstverständlich voraussetze.
Wer ist bislang die Entdeckung im Team?
In diesem Jahr muss man mit Paul Di Pietro einen älteren Spieler dazu zählen. Er hat mich extrem positiv überrascht. Paul kam ohne Erwartungen und zeigte eine riesige Bereitschaft, mitzuziehen. Durch seinen Umgang mit der Scheibe, seine Fähigkeit, das Spiel zu lesen, bringt er ein spezielles Element ins Team. Und als Quarterback im Powerplay ist er äusserst wertvoll.
Sie stehen vor Ihrer achten WM als Nationalcoach. Sind Sie noch nicht müde?
Nein. Wenn die Vorbereitung auf so ein Turnier begonnen hat, ist die Intensität, der Spass gleich wie immer. Inzwischen kann ich das Erlebnis sogar viel mehr geniessen als früher. Da dachte ich noch mehr, dass wir uns beweisen müssen.
Dachten Sie schon einmal an eine Luftveränderung?
Ich hatte noch nicht einen Tag das Gefühl, am falschen Ort zu sein. Ich fühlte mich in guten, aber auch in schlechten Zeiten im Schweizer Team beruflich zuhause. Ich will auch keine Phase missen: Gerade aus den weniger rosigen Zeiten nach Olympia in Salt Lake City konnten die Mannschaft und ich viel lernen u2013 und wir erhielten danach die Gelegenheit, aus diesem Tief gemeinsam rauszufinden. Das kommt im Sport nicht so oft vor und hat uns stärker gemacht.
Ihr Vertrag mit dem SEHV läuft nach der Saison 2005/06 aus. Kann man aus Ihren Äusserungen schliessen, dass Sie gerne darüber hinaus Schweizer Nationaltrainer bleiben wollen?
Weder dies noch das Gegenteil. Ich habe mir darüber bis jetzt schlicht keine Gedanken gemacht. Ich werde nach dieser WM mit SEHV-Generaldirektor
Peter Zahner zusammensitzen und über die Zukunft sprechen. Im Moment weiss ich nur, dass meine Motivation gross ist und ich den bestehenden Vertrag erfülle. Wenn es nötig ist, werde ich meine Situation nach der WM sehr schnell analysieren und zu einem Schluss kommen. Wichtig ist, dass der Verband und ich frühzeitig Bescheid wissen. Wenn jemand so lange Zeit Nationaltrainer ist, dann ist ein allfälliger Übergang danach für keine Partei einfach.
Zu Beginn Ihrer Amtszeit waren Sie eine Art Nationalheld, nach Olympia 2002 mussten Sie viel Kritik einstecken u2013 wo stehen Sie heute?
Wo ich in der Öffentlichkeit stehe, interessiert mich nicht. So wie mich damals der Grossteil der Kritik nicht berührte, weil dieser persönlich und nicht sachlich war. Wichtig ist, dass wir nie die Linie verloren und uns nicht kurzfristig an die Medien verkauft haben. Wenn man meiner Zeit als Nationaltrainer am Ende mit Respekt begegnet, bin ich happy.
Was ist die wichtigste Erkenntnis aus den Jahren als Nationaltrainer?
Dass man mit einer Gruppe nur dann an die Grenzen stossen kann, wenn es menschlich zusammenpasst. In Grautönen wusste ich das schon früher u2013 doch dieses Bild ist heute viel klarer im Kopf. Der Einzelne ist klein, auch ich als Trainer. Ich müsste wieder ein Buch schreiben, um alles aufzulisten.
Ihr Buch «Teamlife» war ein Bestseller. Würden Sie es heute anders schreiben?
Ich stehe noch immer zum Buch. Die Prinzipien und Grundsätze sind dieselben geblieben. Die Gewichtung aber würde wahrscheinlich anders ausfallen. Die Teambereitschaft, die positive Gruppendynamik würde ich darin stärker hervorheben.
Welche Ziele haben Sie als Trainer der Schweizer Nationalmannschaft noch?
Eine Erkenntnis ist auch, dass das Endziel weniger wichtig ist als die Reise. Natürlich bleibt mein Traum das ganz Spezielle, die Medaille mit der Schweiz. Aber anders als früher ist mir die Freude an jedem einzelnen Tag mit dem Team wichtiger. Wo oder wann der Weg zu Ende geht, ist irrelevant. Ich weiss ja auch nicht, wann mein Leben zu Ende geht.
Wie sehr sind Sie heute ein Schweizer?
Der Pass ist ein Papier. Ich lebe mit meiner Familie in der Schweiz, fühle mich in diesem Land zuhause. Ich verfolge das Geschehen. Besondere Ereignisse, aber auch das Erklingen der Nationalhymne gehen mir nahe.
Also essen Sie Fondue und Raclette?
Das ist nicht so meine Art von Ernährung. Etwas zu fetthaltig (lacht).
«Ich hatte noch nicht einen Tag das Gefühl, am falschen Ort zu sein»
Der Schweizer Eishockey-Nationalcoach Ralph Krueger steht vor seiner achten WM
INTERVIEW: OLIVER GUT, Wien
Spieler kamen und gingen u2013 der Kanadier mit deutschem Pass blieb: Ralph Krueger erlebte als Schweizer Nationaltrainer erst Höhen, dann Tiefen, erreichte zuletzt zweimal die WM-Viertelfinals und schaffte im Februar die Olympia-Qualifikation.
Diese jüngsten Resultate will Ralph Krueger ab Sonntag bestätigen, wenn die Schweiz in Wien mit der Partie gegen Tschechien (16.15 Uhr, SF2 live) in die WM in Österreich startet. Danach gilt es, sich Gedanken um die Zukunft zu machen: Der Vertrag zwischen dem 45-jährigen Cheftrainer und dem Schweizerischen Eishockeyverband (SEHV) läuft nach der WM 2006 aus.
Ralph Krueger im baz-Interview.
Ralph Krueger, in Wien kündigt sich durch den NHL-Lockout eine WM der Superlative an. Was ist grösser: Die Freude auf das Ereignis oder die Angst, die Ziele in Anbetracht der Konkurrenz zu verpassen?
Ganz klar die Freude. Ich glaube, dass die Besetzung dieser Titelkämpfe überbewertet wird, denn die Weltmeisterschaft hat zuletzt stets viele bekannte Namen angezogen. Die grossen Nationen bleiben gross, die direkten Gegner bleiben die direkten Gegner.
Also bleiben auch die Ziele gleich?
Keine Frage: Wir wollen wieder zu dieser Mittelgruppe zwischen den Rängen 8 und 14 gehören. Wie eng die Teams da beieinander liegen, haben wir in den Testspielen gegen Weissrussland gesehen. Schaffen wir diesen ersten Schritt, werden wir alles für die Überraschung tun.
In der Vorrunde spielen Sie gegen Tschechien, Kasachstan und Deutschland. Wie schätzen Sie diese Gegner ein?
Tschechien ist für mich ein Turnierfavorit. Dieses Team hat sich im vergangenen Jahr an der Heim-WM blamiert. Daraus schöpfen die Spieler grosse Motivation. Um gegen Tschechien zu punkten, müssen wir perfekt sein. Kasachstan und Deutschland sehe ich im Paket. Das werden schwierige Spiele, bei denen mentale Stärke gefragt ist. Beide Teams sind defensiv und physisch stark. Beim alten Duell mit Deutschland stehen die Chancen immer 50:50, die Kasachen haben sich wie wir für Olympia qualifiziert. Sie bringen viel mehr Kilos auf die Waage als wir, doch in dieser Partie wird es trotzdem vor allem um uns gehen: Spielen wir gut, schlagen wir diesen Gegner.
Bei den Deutschen fehlen mit Goalie Olaf Kölzig oder Marco Sturm bekannte Namen. Macht das die Aufgabe leichter?
Nein. In diesem Vergleich geht es stets um das Team als Ganzes, die Gruppendynamik. Das ist entscheidend. Ein Sturm oder Kölzig mehr oder weniger macht da nicht viel aus.
Was ist die grösste Qualität des momentanen Schweizer Kaders?
Die Bereitschaft jedes Einzelnen, für diese Gruppe alles zu geben. Das war nicht immer so. Für mich ist das ein Genuss, weil ich das nicht als selbstverständlich voraussetze.
Wer ist bislang die Entdeckung im Team?
In diesem Jahr muss man mit Paul Di Pietro einen älteren Spieler dazu zählen. Er hat mich extrem positiv überrascht. Paul kam ohne Erwartungen und zeigte eine riesige Bereitschaft, mitzuziehen. Durch seinen Umgang mit der Scheibe, seine Fähigkeit, das Spiel zu lesen, bringt er ein spezielles Element ins Team. Und als Quarterback im Powerplay ist er äusserst wertvoll.
Sie stehen vor Ihrer achten WM als Nationalcoach. Sind Sie noch nicht müde?
Nein. Wenn die Vorbereitung auf so ein Turnier begonnen hat, ist die Intensität, der Spass gleich wie immer. Inzwischen kann ich das Erlebnis sogar viel mehr geniessen als früher. Da dachte ich noch mehr, dass wir uns beweisen müssen.
Dachten Sie schon einmal an eine Luftveränderung?
Ich hatte noch nicht einen Tag das Gefühl, am falschen Ort zu sein. Ich fühlte mich in guten, aber auch in schlechten Zeiten im Schweizer Team beruflich zuhause. Ich will auch keine Phase missen: Gerade aus den weniger rosigen Zeiten nach Olympia in Salt Lake City konnten die Mannschaft und ich viel lernen u2013 und wir erhielten danach die Gelegenheit, aus diesem Tief gemeinsam rauszufinden. Das kommt im Sport nicht so oft vor und hat uns stärker gemacht.
Ihr Vertrag mit dem SEHV läuft nach der Saison 2005/06 aus. Kann man aus Ihren Äusserungen schliessen, dass Sie gerne darüber hinaus Schweizer Nationaltrainer bleiben wollen?
Weder dies noch das Gegenteil. Ich habe mir darüber bis jetzt schlicht keine Gedanken gemacht. Ich werde nach dieser WM mit SEHV-Generaldirektor
Peter Zahner zusammensitzen und über die Zukunft sprechen. Im Moment weiss ich nur, dass meine Motivation gross ist und ich den bestehenden Vertrag erfülle. Wenn es nötig ist, werde ich meine Situation nach der WM sehr schnell analysieren und zu einem Schluss kommen. Wichtig ist, dass der Verband und ich frühzeitig Bescheid wissen. Wenn jemand so lange Zeit Nationaltrainer ist, dann ist ein allfälliger Übergang danach für keine Partei einfach.
Zu Beginn Ihrer Amtszeit waren Sie eine Art Nationalheld, nach Olympia 2002 mussten Sie viel Kritik einstecken u2013 wo stehen Sie heute?
Wo ich in der Öffentlichkeit stehe, interessiert mich nicht. So wie mich damals der Grossteil der Kritik nicht berührte, weil dieser persönlich und nicht sachlich war. Wichtig ist, dass wir nie die Linie verloren und uns nicht kurzfristig an die Medien verkauft haben. Wenn man meiner Zeit als Nationaltrainer am Ende mit Respekt begegnet, bin ich happy.
Was ist die wichtigste Erkenntnis aus den Jahren als Nationaltrainer?
Dass man mit einer Gruppe nur dann an die Grenzen stossen kann, wenn es menschlich zusammenpasst. In Grautönen wusste ich das schon früher u2013 doch dieses Bild ist heute viel klarer im Kopf. Der Einzelne ist klein, auch ich als Trainer. Ich müsste wieder ein Buch schreiben, um alles aufzulisten.
Ihr Buch «Teamlife» war ein Bestseller. Würden Sie es heute anders schreiben?
Ich stehe noch immer zum Buch. Die Prinzipien und Grundsätze sind dieselben geblieben. Die Gewichtung aber würde wahrscheinlich anders ausfallen. Die Teambereitschaft, die positive Gruppendynamik würde ich darin stärker hervorheben.
Welche Ziele haben Sie als Trainer der Schweizer Nationalmannschaft noch?
Eine Erkenntnis ist auch, dass das Endziel weniger wichtig ist als die Reise. Natürlich bleibt mein Traum das ganz Spezielle, die Medaille mit der Schweiz. Aber anders als früher ist mir die Freude an jedem einzelnen Tag mit dem Team wichtiger. Wo oder wann der Weg zu Ende geht, ist irrelevant. Ich weiss ja auch nicht, wann mein Leben zu Ende geht.
Wie sehr sind Sie heute ein Schweizer?
Der Pass ist ein Papier. Ich lebe mit meiner Familie in der Schweiz, fühle mich in diesem Land zuhause. Ich verfolge das Geschehen. Besondere Ereignisse, aber auch das Erklingen der Nationalhymne gehen mir nahe.
Also essen Sie Fondue und Raclette?
Das ist nicht so meine Art von Ernährung. Etwas zu fetthaltig (lacht).