Aficionado hat geschrieben: 06.12.2022, 09:53Zu Abschnit 2
Was bringen denn Gretha und die Proteste?
Wenn ich aber daran interessiert bin, etwas revolutionäres zu erforschen, was dem Wandel entgegenwirkt und gleichzeitig einen nachhaltigen Lebensstil führe, dann habe ich aus meiner Sicht das Maximum erreicht. In der Zeit wo andere Luft aus den Reifen lassen oder sich auf den Boden kleben würde ich die Wissenschaft bevorzugen (Bücher lesen,, wissenschaftliche communities besuchen, sich mit Forschern treffen, schauen, wie ich mich (künftig) wissenschaftlich einbringen kann, berufliche Möglichkeiten,...
Da wir glücklicherweise in einer Demokratie leben, würde ich zu guter Letzt einer Partei beitreten, die sich weitgehendst für meine Anliegen mit demokratischen (rechtsstaatlichen) Mitteln einsetzt.
Was sie gebracht hat? Sie hat die
Schulstreiks fürs Klima initiiert, woraus die internationale Bewegung
Fridays for Future erwachsen ist.
Solange «Aus den Augen, aus dem Sinn» gilt, ist die Verlockung ein Problem bloss unsichtbar zu machen, statt es zu lösen, relativ gross. Da halte ich die sichtbaren Proteste zwar für einen unbequemen, aber wichtigen Hinweis darauf, dass die Probleme noch existieren.
Und wir sprechen hier von Schülern, die ihre Berufswahl und Karrieren noch vor sich haben. Die Inspiration und Motivation, welche von einer so grossen, internationalen Gemeinschaft für das Klima ausgeht, sollte man nicht unterschätzen. Sie stiftet Sinn, bestärkt den Glauben an einen Wandel, weil man sieht, dass man damit nicht alleine da steht und kann die Berufswahl und Entscheidungen in den später folgenden Karrieren beeinflussen. Ich kann mich sogar noch wage an eine Aussage eines Wissenschaftlers zu Beginn der FFF Bewegung erinnern. Sinngemäss meinte er «Wir sagen diese Dinge schon lange, aber wurden nie gehört. Ich bin froh und gerührt, dass diese Kinder es geschafft haben, unserer Arbeit eine Stimme zu verleihen.»
Ja. Der Protest alleine bringt nicht viel. Aber das, was Proteste auslösen und bewegen können, bringt etwas. Und ich glaube, dass die FFF massgeblich dazu beigetragen haben, dass grüne Themen im politischen Diskurs an Gewicht gewonnen haben. Somit konnten Schüler und Schülerinnen Abstimmungen und Wahlen beeinflussen, auch wenn sie noch nicht das Stimmrechtsalter erreicht hatten.
Ich halte das Ankleben auf Strassen und Gemälden für fragwürdig, kann darin aber den Willen für Veränderung und den Ausdruck von Verzweiflung sehen. Die abgelassene Luft halte ich hingegen für kontraproduktiv, auch wenn ich den Willen für Veränderung und den Ausdruck von Verzweiflung nicht absprechen möchte. Ich ziehe bei gleichem Effekt immer die legale Variante des Protestes vor, aber ich kann den zivilen Ungehorsam nicht verurteilen, solange ich den Eindruck habe, dass in der Klimaproblematik noch zu wenig gemacht wird.
Wissenschaft alleine verändert auch nichts. Es braucht auch die Industrie, welche die Erkenntnisse in Produktentwicklungen umsetzen und durch Handwerker montiert werden. Aber genau so braucht es auch Proteste, welche inspirieren und motivieren, aber auch den Finger in die Wunde halten und verhindern, dass man ein Problem einfach beiseite schiebt und ausblendet.
Aficionado hat geschrieben: 06.12.2022, 09:53”Umerziehung» wirkt sich oft negativ aus (Spezies Mensch fühlt sich angegriffen und schaltet in den Verteidigungsmodus).
Ja. Ist Umerziehung aber deswegen falsch? Wie soll der Justizvollzug mit einem Mörder verfahren? Unser Rechtssystem basiert auf der Idee, dass sich Menschen umerziehen lassen, respektive weiterentwickeln können. Ansonsten könnte man auf lebenslange Verwahrung oder gleich die Todesstrafe umstellen. Die Frage ist also eher, wieviel Druck man bei der Umerziehung ausübt, respektive wieviel Zeit man der Entwicklung einräumt.
Und in der Frage, wieviel Zeit wir haben, bezüglich des Klimawandels eine andere Richtung einzuschlagen, scheiden sich die Geister. Solange sich das «richtige» Mass an Druck noch nicht belegen lässt, halte ich verschiedene Ansätze für angebracht. Und da ich davon ausgehe, dass es das «richtige» Mass an Druck nicht gibt, weil jeder einen individuellen Punkt hat, ab dem er eine Erkenntnis in sein Weltbild integrieren und sein Handeln danach ausrichten kann, halte ich verschiedene Ansätze für essentiell. Die hohe Kunst bestünde darin alle individuell zu bewegen, ohne die bereits Überzeugten zu drangsalieren. Da sehe ich Verbesserungspotenzial.
Aficionado hat geschrieben: 06.12.2022, 09:53 Reichtum und Dekadenz
Die kapitalistischen Länder erzeugen am meisten Emissionen. Früher durch die Industrie (diese wurde nun weitgehendst ausgelagert) heute durch den Lebensstil kapitallistisch geprägter Völker. Ist nun einmal so. Und der Drang nach immer mehr nimmt dabei null Rücksicht auf Umwelt.
Ja. Solange trotz limitierter Ressourcen die Devise Wachstum lautet, werden die Ressourcen knapper und der Drang zu Vorratshaltung – also die Anhäufung von mehr – bleibt erhalten.
Ich sehe nur einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel als vertretbaren Ausweg. Eine Angleichung von Ressourcenverbrauch an die Ressourcenerneuerung und einen Verteilschlüssel der sicherstellt, dass alle «genug» haben und haben werden, weil genug nachwächst, recycliert oder auf natürlichem Weg erneuert wird. Dies ist aber nicht mit der Vorstellung vereinbar, dass ein einzelner Mensch wie zB Bezos so viel Geld (Anrecht auf Ressourcen) auf sich vereint, dass damit ganze Kleinstaaten entschuldet werden könnten.
Aber die Gretchenfrage bleibt. Wie bringt man die Spezies Mensch dazu, auch (nicht ausschliesslich) als Kollektiv zu denken und zu handeln? Also die von dir angesprochene «Umerziehung».
Mir scheint es offensichtlich, dass die Aussicht auf ein friedliches und fortbeständiges Zusammenleben von dieser und kommenden Generationen erstrebenswerter wäre, als die Aussicht, sich in einer Welt um zu Neige gehenden Ressourcen wirtschaftlich, politisch und militärisch zu bekämpfen und extrem viel Energie auf die Absicherung des eigenen individuellen, betrieblichen oder staatlichen Wohlstands zu verwenden, aus Angst davor, dass das soziale Ungleichgewicht einen Kipppunkt erreichen könnte, ab dem sich die anderen erheben. Oder aus der Angst, dass man selbst oder die eigenen Nachkommen ohne die angehäuften Vorräte, keine oder schlechte Lebensbedingungen vorfinden. Je schlechter die Lebensbedingungen – auch durch den Klimawandel verursachte – werden, desto eher wird aber dieser Kipppunkt erreicht.
Pointiert könnte man es auf die Frage herunterbrechen, ob der Grundsatz «Fressen oder gefressen werden» für die Spezies Mensch als unumstösslich gilt oder ob man einen einen anderen Grundsatz verfolgen könnte, also nur soviel zu fressen, dass keiner vor die Wahl «Töte oder stirb» gestellt wird?