Das schleichende Ende
FABIEN BARTHEZ, FRANKREICHS POLARISIERENDER TORHÜTER, HÖRT AUF

Der letzte Akt. Fabien Barthez nach dem verlorenen WM-Final. Foto Keystone
Julien Oberholzer (SI)
Am Donnerstagabend hatte Fabien Barthez seinen vorerst letzten grossen Auftritt. Der streitbare Torhüter, 1998 Weltmeister und 2000 Europameister mit Frankreich, erklärte vor einem Millionenpublikum im Fernsehen nach 16 Jahren Profifussball seinen Rücktritt.
Nach dem verlorenen WM-Final Mitte Juli war es ruhig geworden um Barthez. Das Ende seiner Laufbahn kündigte sich schleichend an, ganz untypisch für den glatzköpfigen Keeper, der so polarisierte wie kein anderer französischer Internationaler in den letzten Jahren. Olympique Marseille hatte auf eine Vertragsverlängerung verzichtet und Toulouse, der Verein seiner Anfänge, erteilte ihm eine Absage. Gern hätte er in seiner Heimatregion die Karriere ausklingen lassen, die ihn von Toulouse, über Marseille, Monaco, Manchester United zurück nach Marseille geführt hatte.
Überall hinterliess er einen bleibenden Eindruck. In Marseille (180 Ligaspiele) und Monaco wegen ausserordentlicher Leistungen, hochklassiger Paraden auf der Torlinie und sei-ner weiten Auswürfe, in Manchester (139 Ligaspiele) wegen misslungener Dribblings und sonstiger Aussetzer, die aus «Faboulous Fab» den «Clown» von Old Trafford machten und ihn schliesslich im Januar 2004 zum vorzeitigen Abschied aus der englischen Premier League zwangen. Barthez war entweder brillant oder dilettantisch - Mittelmass war er nie. Interventionen wie im WM-Final 1998, als er Ronaldos Schuss aus fünf Metern phänomenal parierte, wechselten sich mit unvergleichlichen Irrflügen.
Dennoch machte der «Göttliche Glatzkopf» 87 Länderspiele, er wurde 1998 Weltmeister, 2000 Europameister, und mit 17 WM-Spielen ist Barthez Frankreichs Rekordhalter. Zuletzt verdankte er seine Nomination als Nummer 1 im Tor aber eher der privilegierten Beziehung zu Zinédine Zidane als seinen Leistungen, doch nichtsdestotrotz bewies Barthez in den wichtigen Spielen eine erstaunliche Kaltblütigkeit und Unbeschwertheit.
losgelöst. Bereits als 21-Jähriger stand er mit Marseille im Champions-League-Final und obwohl er vergessen hatte, seine Handschuhe ins Münchner Olympiastadion mitzunehmen, trug er massgeblich dazu bei, dass OM die AC Milan 1:0 schlug. «Er scheint von allem losgelöst zu sein, aber im richtigen Moment ist er dann doch präsent», urteilte Goaliekollege Mickaël Landreau vor einigen Monaten.
Barthezu2019 Karriere steckt voller Widersprüche. Sein soziales Engagement und seine Beliebtheit bei den Mitspielern kontrastiert mit unrühmlichen Eskapaden. In Monaco ohrfeigte er im Uefa-Cup einen Balljungen und sass eine Dopingsperre wegen Haschischkonsums ab. Mit Marseille bespuckte er in einem Testspiel den marokkanischen Schiedsrichter und wurde sechs Monate gesperrt.
Blancs Küsse. Das französisch Publikum reagierte auf diese Fehltritte ungehaltener als auf seine sportlichen Missgeschicke. Im Stade de France wurde er zuletzt bei jeder Ballberührung ausgepfiffen. Dabei war er nach der WM 1998 zum Liebling der Massen aufgestiegen. Der Kuss, den Laurent Blanc vor jedem Spiel dem rasierten Kopf des Torhüters gab, hatte Barthez zu einem Symbol des französischen Erfolgs gemacht und dazu beigetragen, dass er 1998 hinter Zidane zum zweitbeliebtesten Nationalspieler gewählt wurde. Monatelang war er das Lieblingsmotiv der Paparazzi gewesen, die seine Beziehung zum Topmodell Linda Evangelista bildlich dokumentierten.
Der Rugby-Fan. Vorläufig hat sich Barthez in den Südosten Frankreichs zurückgezogen, in die Region, wo er aufgewachsen ist. Allerdings wird er nicht allzu lange in der Anonymität verschwinden. Dafür liebt er die öffentliche Aufmerksamkeit zu sehr, die ihm etwa am Donnerstagabend zuteil wurde. Seinen Rücktritt erklärte er zur besten Sendezeit und vor rund 15 Millionen Fernsehzuschauern. Und weil er nur selten tut, was andere tun würden, überlegt er sich, demnächst Rugbyspiele zu kommentieren.
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